die hinrichtungsversicherung von REINHARD UMBACH :
Quieklebendig kam der Delinquent aus seinem warmen Stall und sollte trotz tadelloser Lebensführung hingerichtet werden. Das Manöver trug den durchsichtigen Namen „Hausschlachtung“. Alles lag und stand auf der Bastille schon bereit an diesem nebligen Novembermorgen: das Bolzenschussgerät, die Messer mit gewaltiger Schnitttiefe und der dampfende Holzzuber, die so genannte Muhle, in der das Schwein sein Bad der Reinigung nehmen sollte, nachdem der Henker sein Werk verrichtet haben würde.
Der aber stellte nur noch eine kurze Frage, ehe er zum Bolzen griff: „Habt ihr’s auch versichert?“ Denn man versicherte Schweine gegen drei Desaster: dass es sich um einen verkappten, nicht kastrierten Eber handelte; dass es von einer schweren inneren Krankheit befallen war; und dagegen, dass der Fleischbeschauer nach einem Blick ins Mikroskop die Horrordiagnose „Trichinen!“ murmeln und den Prüfstempel auf die Schweinehälften verweigern würde. In allen Fällen wäre das schon angesetzte Schlachteessen zum Entsetzen des halben Dorfs ausgefallen.
Normalerweise entrichtete man die Police von 50 Pfennig am Abend vorher beim Kassierer des örtlichen „Schlachtviehversicherungsvereins auf Gegenseitigkeit e. V.“ in bar. Genau das aber hatten wir vergessen, und so wurde ich noch vor der Schule losgeschickt, um das monetäre Schlachtopfer zu entrichten. Der Kassierer, „Bodden Adam“, war lange Zeit unser Nachbar gewesen, der sich zwischen zwei „Overstolz“ auch gern noch eine „Handelsgold“ reinpfiff und praktisch immer mit irgendwas entflammt war. Seit ich laufen konnte, hatte ich ihm sein Räucherwerk aus dem Dorfladen geholt und manchmal einen Groschen dafür abbekommen.
Nachdem sein kleines Gehöft dann eines Tages aus nie geklärten Gründen abgebrannt war, lag der neue Aussiedlerhof am Rand des Dorfs. So kam es, dass ich mich im Novembernebel verlief und erst eine dicke Viertelstunde später als normal in der Versicherungszentrale eintraf. Versicherungstechnisch lief alles wie gewohnt: In ein Schulheft wurden das Gewicht des Schweins, der Eignername und ein in der Zukunft liegendes Schlachtedatum eingetragen. Aber genau in dem Moment, als er diesen letzten Eintrag vornehmen wollte, zerschnitt ein gewaltiger Laut die Ruhe und den Nebelschleier. Es war ein Schuss gefallen, ein Bärentöterlaut, vom einen bis zum anderen Ortsschild zu hören. Ich war also dabei, einen schon Hingerichteten gegen das Risiko des Sterbens zu versichern, und das ferne Schlachtedatum hatte sich bereits in Vergangenheit verwandelt. Adam aber setzte seinen Eintrag, ohne zu zögern, fort und sagte nach der Einhändigung des Fünfzigpfennigstücks nur noch nebenbei: „Aber dafür holst du mir wie früher wieder meine Zigaretten! Und einmal im Monat eine Kiste ‚Handelsgold‘!“
Um mein Leben rannte ich nach Hause und wagte nicht, von meinem Teufelsschweinepakt zu erzählen. Ich hatte zugestimmt und musste viele Jahre tief im Innersten büßen für mein frühkindliches Versicherungsdelikt. Deshalb fing ich selbst auch erst an zu rauchen, als ich über 40 war. Und das ist nach unserem Strafrecht bei guter Führung ja schon mehr als lebenslänglich.