die heimat im test. heute: tünseliges ostwestfalen von WIGLAF DROSTE :
Der Ostwestfale sieht manchmal aus wie eine Kartoffel, und immer spricht er so. Er sagt nicht wirklich oder Wurst, sondern wiaklich und Wuast, der Nachmittag ist ihm ein Nammiitach und das Abendbrot ein Aaahmtbrot. Ich weiß das, ich komme da wech.
Von Harry Rowohlt stammt der Hinweis, dass Ostwestfalen ein Unsinnswort sei – Ost und West subtrahierten sich wechselseitig, und übrig bleibe: Falen. Falen ist aber kein anständiger Name für einen Landstrich. Außerdem spricht sich Ostwestfalen umständlicher und langsamer als Falen und passt deshalb sehr gut zu seinen Bewohnern, die schon zum Frühstück Schlachteplatte essen können und das dann leckò finden.
Wenn Kinder in Ostwestfalen spielen, heißt das kalbern. Machen sie Quatsch, dölmern sie und sind analog Dölmer; toben und lärmen sie, dann heißt es bald: Hört auf zu ramentern! Ein Bauer oder sonst einer, den man für hintermmondig tumb und schlicht hält, ist in Ostwestfalen ein Hacho. Das Wort entstammt, wie manches im nicht nur onomatopoetischen, also lautmalenden, sondern auch sonst poetischen Ostwestfälisch dem zigeunerisch-rotwelschen Argot namens Masematte, der im Münsterland gesprochen wurde. Als ich das Wort Hacho in einer Geschichte für „Klett-Cotta’s Kulinarischen Almanach“ verwendete, traf es in Stuttgart auf eine Redakteurin, die es nicht kannte. Statt einfach nachzufragen, hielt sie das Wort lieber für einen Tippfehler und machte aus dem Hacho einen Macho. Die Textpassage war durch die Änderung zwar tiptop sinnfrei und unverständlich geworden, aber im Schulbuchverlagshaus Klett war rechtschreiberisch alles in bester Ordnung, der Text war sauber gekehrwocht worden.
Tünsel ist ein ostwestfälisches Wort, dessen Bedeutung sich nicht auf Anhieb erschließt. Ein Tünsel ist nicht unbedingt ein Dummkopf – eher einer, dem ein Patzer unterlief. Manchen Sommer wullackten mein Vater, mein Bruder Finn und ich im Weserbergland. Mein Vater trug, wie bei älterer männlicher Landbevölkerung nicht unüblich, bei der Maloche nur einen grauen Arbeitskittel und ein Paar Gummistiefel. Mein Bruder und ich wühlten mit Brechstange, Spitzhacke, Spaten und Schüppe eine Rinne in den Boden, um eine Drainage zu legen. Ausgemergelt standen wir im Mergel und kamen nicht recht voran. Plötzlich geistesblitzte mein Vater, sich seiner Verneinung aller gängigen Dress-Codes ganz offensichtlich unbewusst, einen Kern- und Dreisatz, der für immer Aufnahme in den familiären Sprachkanon fand – und sagte, Blick und Timbre bedeutungsschwer: „Wir sind Tünsel.“ Mein Bruder und ich kuckten ihn an, einen Shakespeare’schen Julius Cäsar in Gummistiefeln, und plumpsten in den Graben, keckernd wie die Raben.
„Wir sind Tünsel“: Schöner kann die Einsicht in die allumgreifende Fehlbarkeit des Menschen nicht formuliert werden. Mit dem Wort Heimat verbinde ich keine Landschaft – wozu auch? Eine Sprache, in der Dölmer, Hachos und Tünsel durcheinander ramentern, wullacken und kalbern, ist Heimat genug.