die castorin rollt: Bewegung statt Behörde
Das Wendland war eine „Polizeifestung“; es tobte eine „Schlacht“ – nein, nicht gestern, sondern vor vier Jahren. Gestern sammelten sich wenige tausend Demonstranten, wo 1997 noch 30.000 protestierten. Stell dir vor, es gibt eine gut inszenierte Blockade – und keiner geht hin.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Gut inszeniert jedenfalls war der Widerstand gegen die Castor-Transporte, wohl noch nie war eine Protestaktion so professionell. Mustergültig die Öffentlichkeitsarbeit, imposant die Berichterstattung in den Medien. Selbst die Polizei hat gelernt; Schlagstock und Tränengas sind nicht mehr die einzigen Waffen, man setzte auf das Gespräch, beschäftigte „Mediatoren“. Immer professioneller sind schließlich die Aktivisten: Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg verschwand fast hinter der Allgegenwart von Greenpeace. Greenpeace besetzte die Jeetzel-Brücke, und Greenpeace erklärte der internationalen BBC-Öffentlichkeit, warum die BI protestiert.
Viel Inszenierung – und kaum demonstrierende Protagonisten. Wie kann das sein? Die AKW-Gegner sind einfach dort angekommen, wo alle anderen Bewegungen der 70er-Jahre schon vor ihnen geendet sind – in der Institution. Symbol dafür ist ausgerechnet der „Atomkonsens“. Obwohl äußert unbefriedigend, enthält er jene Regierungsbotschaft, auf die es ankommt: Problem erkannt. Und hat der Staat erst mal eine Sorge seiner Bürger adoptiert, erlahmt der Widerstand, wird die Verantwortung gern an die amtlich Zuständigen delegiert. Wozu hat man schließlich einen Staat? Selbst wenn konkrete Fortschritte ausbleiben, herrscht Ruhe, solange der patriarchalische Gestus stimmt: Behörde kümmert sich.
Diese bürgerliche Bequemlichkeit ist verständlich. Wer hat schon Lust, im kalten März im Wendland zu kampieren (und das mitten in der Arbeitszeit).
Wo solch Passivität endet, ließ sich – ironischerweise – ebenfalls gestern besichtigen: Kanzler Schröder empfing seine Familienministerin Bergmann sowie Unternehmensvertreter; Thema war die Frauenförderung in der privaten Wirtschaft. Dass nichts Substanzielles herauskommen würde, war vorher klar. Aber das Symbol stimmt: Regierung kümmert sich. Ein allgegenwärtiges Symbol. 1.300 öffentliche Gleichstellungsbeauftragte senden es täglich aus. Die Frauenförderung wird so ewig leben, wie die Frauenbewegung tot ist.
Und auch die AKWs werden weit länger laufen als die ausgehandelten 32 Jahre, falls die Castor-Blockaden nur Inszenierung ohne Protagonisten bleiben.
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