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Archiv-Artikel

die augen des heraklit

Von PS

Im Grunde genommen stimmt es natürlich, dass alles fließt – eine These, die schon die Altvorderen vehement vertraten, als Mitteleuropa noch Wüstheit und Ödnis bot. Wobei sich allerdings die Frage stellt, ob dieses „alles“ einfach nur ziellos vor sich hinfließt – panta rhei, wie Griechen sowie der graecophile Hölderlin wussten. Oder ob es eben immer anders fließt, ob die Selb-Heit eines Flusses eben nicht doch Täuschung ist, die dem Menschen so gut gefällt: siehe Heraklit und seine ehrwürdigen Lehren.

Andererseits: Sind es unsere guten alten Kontinentalplatten, die auf dem ewig wässrigen Urgrund dahingleiten und sich verschieben, oder sind sie es nicht? Haben sich etwa Fremdplatten aus dem All in aller Still‘ herzugeschlichen, die aber nun leider gar nicht in unser lieb gewonnenes Weltbild passen? Und gleiten die Eise der Gletscher wirklich in Flussform das Gebirg‘ hinab? Wohin ist die These zu ordnen, dass Flüsse durchaus nicht immer abwärts fließen, ja dass die Ostsee inzwischen zurückdrängt in binnenländische Gewässer und so – o tektonisches Geheimnis! – Überschwemmungen wie jene an der Oder erzeugt?

Probleme, die wahrhaft gewichtig scheinen angesichts der Tatsache, dass sich auch im Arbeits-, sogar im Koch- und Putz-Alltag alles wandelt, mehr oder weniger detailliert zur Kenntnis genommen und kommentiert. Alles Irdische gehorcht halt denselben ehernen Gesetzen...

Und doch scheint es in dieser Welt Konstanten zu geben. Bezüglich der menschlichen Physis zum Beispiel. Dochdoch, selbstverständlich wird man dereinst altern, vielleicht schrumpfen, mit Sicherheit ergrauen. Aber Nasenform und Augenfarbe, die zumindest wird man doch behalten dürfen, haben sie einem doch schon all die Jahre treue Dienste geleistet. Eine Tatsache, die staatliche Erkennungsdienste und sonstige Kontroll-Instanzen – inklusive der staatlichen Ausweis- und Pass-Maschinerie – eigentlich deutlich fröhlich stimmen sollte.

Allein – heimische Einwohnermeldeamts-SachbearbeiterInnen scheinen da im Besitz neuerer Forschungsergebnisse zu sein; vielleicht sind sie auch die Einzigen, die Evolution wirklich zu Ende gedacht haben: „Hat sich Ihre Augenfarbe inzwischen verändert“, fragte nämlich unlängst die freundliche Dame hinter dem Tresen den unbedarften Personalausweis-Verlängerungsanwärter, als sei dies die selbstverständlichste Frage der Welt. Schließlich bleiben Kleidung und Gewicht ja auch nicht konstant. Und verwirrt, wie man war, konnte man da nur noch ein „ich glaub ja nicht“ in die Gegend stottern. Ein – bei Lichte betrachtet – natürlich alles andere als vertrauenerweckendes Zeugnis eigener Befindlichkeit. PS