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die WahrheitSibirische Verhältnisse

Der Ire an sich ist nicht wintertauglich. Als es in der Silvesternacht zur Überraschung der Nation in Dublin zu schneien begann, war die Stadt binnen Minuten lahmgelegt ...

... Die Busse stellten den Verkehr ein, die Bahnen konnten wegen eingeschneiter Weichen nicht fahren, und der Flughafen blieb bis Neujahrsnachmittag geschlossen. Es seien vier Schneeschauer über dem Flughafen niedergegangen, sagte ein Sprecher der Verwaltung. Die ersten drei habe man noch bewältigt, aber dann musste man das Handtuch werfen: "Der Schnee fiel schneller, als wir ihn beseitigen konnten." Das meteorologische Institut gab bekannt, dass insgesamt ein Zentimeter Schnee gefallen war. Hätte es so viel wie in Deutschland geschneit, wäre es um die Insel geschehen gewesen.

Gleichzeitig stieg in der Nacht der Wasserverbrauch in Irland um 35 Prozent. Das lag nicht am kollektiven Durst der Iren, sondern an geplatzten Wasserleitungen. Die Rohre sind bei vielen Häusern so verlegt, als ob sie in der Karibik stünden. In einigen Gegenden stellten die Wasserwerke um Mitternacht das Wasser vorsichtshalber ab. Tausende trauen sich seit Silvester nicht mehr aus dem Haus - die Polizei hatte dringend geraten, unnötige Exkursionen zu vermeiden.

Meine halbe Verwandtschaft war in der Nacht in Unfälle verwickelt. Die Schwägerin und der Schwager waren nach der Silvesterfeier auf dem Nachhauseweg, als ihr Taxi ins Schleudern kam und sich zweimal um die eigene Achse drehte. Ein polnischer Lieferwagenfahrer, der winterliche Straßenverhältnisse eigentlich gewöhnt sein müsste, schlitterte in das Taxi. Sekunden später sauste ein weiteres Taxi in das Blechknäuel. Schwägerin und Schwager beschlossen, nach Hause zu laufen, doch nachdem sie dreimal auf die Nase gefallen waren, übernachteten sie lieber in dem Hotel, vor dem der Unfall passiert war.

Nachts um fünf rief ihre Tochter auf dem Handy an und jammerte, dass sie seit Stunden auf ein Taxi warte und sich den Hintern abfriere. Irische Mädchen kleiden sich nämlich auch bei Minusgraden eher frühlingshaft. Die Schwägerin schickte die Tochter um vier Uhr morgens zur Tante, die in Innenstadtnähe wohnt. Sie war ohnehin wach, da ihr Sohn sich kurz zuvor gemeldet hatte: Sein Taxi war ebenfalls in einen Unfall verwickelt, und zwar mit einem anderen Taxi. Bei dem Versuch, aus dem Auto auszusteigen, war seine Freundin ausgerutscht und hatte sich die Vorderzähne ausgeschlagen. Der Krankenwagen stieß auf der Fahrt ins Krankenhaus mit einem Taxi zusammen.

Da sich die Droschkenkutscher in jener Nacht gegenseitig aus dem Verkehr zogen, waren Taxis Mangelware. Winterreifen sind in Irland völlig unbekannt. Ich hatte mal in einer Werkstatt danach gefragt und einen Blick geerntet, als ob ich mich nach Mietunterhosen erkundigt hätte. Einen Winterstreudienst gibt es ebenso wenig. Das liegt nicht am Personalmangel, sondern am Streusalzmangel. Nun hat man in Litauen ein paar Tonnen bestellt. Sie werden vermutlich zu Frühlingsbeginn eintreffen. Bis dahin müssen die Iren zu Hause bleiben.

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7 Kommentare

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  • S
    Sarah

    Super Artikel, sehr passend. Es ist der erste Winter mit richtigem Schnee, seitdem ich hier wohne, also auch für mich ganz ungewohnt! Aber ganz so schlimm war es dann am Ende doch nicht. Und mittlerweile sind der Schnee und das Eis auch schon wieder geschmolzen :)

  • UB
    Ute Bohnsack

    Ralf's Artikel lassen mich doch immer wieder schmunzeln, oder, wie heute, lauthals lachen. Ja so ist's in dieser Bananenrepublik, und Bananen sind nun mal subtropische Gewächse, Schnee und Kälte setzen ihnen arg zu. Leider war mein Lachen getrübt von der gestrigen Nachricht, dass ein lieber, alter Herr aus der Nachbarschaft hier in Clare gestorben ist. Auch dies ist eine Taxi-Story, wenn man so will. Martin ist zeit seines Lebens nicht Auto gefahren - einmal die Woche nahm er ein Taxi nach Ennistymon, um einzukaufen und mit Bekannten auf der Strasse oder im Laden zu schwätzen. Oft fuhren ihn auch Nachbarn hin und her. Am Dienstag kam das bestellte Taxi mit 1 1/2 Stunden Verspätung, um ihn nach Haus zu fahren. Nicht wirklich passend angezogen, hatte er die ganze Zeit auf dem Marktplatz in der Kälte gewartet. Später am Abend sprach er noch mit seiner Schwester. Am folgenden Morgen fand ihn ein Nachbar tot im Bett. Für seine geschätzten 80 Jahre war er recht fit, er hatte seine Hühner, Ziegen, einen Esel, ein paar Kühe. Die galt es täglich zu versorgen, sie lieferten ihm Milch und Eier und auch Gesprächsstoff. Auch nachdem seine Frau vor 12 Jahren starb - Kinder hatten die beiden nicht - hatte er dennoch einen Grund morgens aufzustehen. Er war ein guter, lustiger Mensch, der über niemanden je etwas Böses sagte und den alle mochten. Er starb so, wie er es gewollt hätte, zuhause, im Schlaf, ohne langes Leiden. Sein Ofen sei ziemlich kaputt gewesen, sagte heute jemand auf der Beerdigung. Die magere Bauernrente reichte wahrscheinlich nicht für einen neuen, geschweige denn für eine Zentralheizung. Und der wöchtentliche Heizkostenzuschuss ist gerade genug für 1 1/2 Sack Kohlen. In so einem alten Cottage kommt man damit vielleicht 2-3 Tage aus und so richtig warm wird's auch damit nicht - ich spreche aus Erfahrung. So ist es nicht verwunderlich, das unter den alten Menschen bei Temperaturen wie sie zur Zeit herrschen, die Mortalität stark ansteigt, vor allem bei all denen, die wie Martin den 'Keltischen Tiger', das sogenannte ihre Wirtschafts'wunder' nur aus der Ferne beobachtet hatten. Wäre das Taxi rechtzeitig gekommen, hätte Martin vielleicht noch ein paar Jährchen gehabt, wenn auch nicht wohlhabend, so doch zufrieden in seinem Zuhause mit seinen Tieren, Nachbarn, Freunden.

    Während der Verkehrsminister irgendwo in Südeuropa im Urlaub ist, sterben uns hier die Alten. Frohes neues Jahr.

  • I
    IBrillalein

    Aaaalso, das sind keine 'Ananas-Palmen', das sind Yukkas, die gibt es auch in frosthart (wachsen übrigens auch in der Witzenhäuser Kirschengegend in Deutschland - ausgepflanzt). Aber: Wesentlich milder ist es hier (in Irland) schon und wenn man sonst so ein Wetter nicht hat, gehts eben in die Hose :D. Eiskunstlauf ist in der Sahel-Zone auch nicht sooo populär und in den wenigsten Kellern in Karlsruhe sind Schneeschippen der Standard.

     

    Aber seeeehr lustig ist das hier schon, so mit dem Schnee. Ganz ungewohnt, für alle. WINTER! Übrigens, am ersten Weihnachtsfeiertag sind in Irland per se alle Gehsteige hoch geklappt.

     

    Verschneite Grüße :D

  • A
    Alittlemoreselfreflection!

    klar. Da man in Irland alle 10 Jahre Schnee bekommt wundert man sich wieso Sie darauf nicht vorbereitet sind und müssen deswegen auch noch als ganzes nicht lernfähig sein!?

     

    "ausladenen figuren": da hat einer wohl vergessen wer am dicksten ist:

     

    http://www.stern.de/wissen/mensch/uebergewicht-deutschland-ist-in-der-eu-am-fettesten-587495.html

     

    da helfen auch Kleidung wenig, was man hier teilweise erleben muss!

  • H
    hamster

    Ich mußte meine 'Vorweihnachtszeit' auch in den Niederlanden verbringen. Denn auch die Niederländer waren mit den Schneeschauern überfordert. Tagelang waren Busse und Züge außer Betrieb. Aber bis zum 23.12. war dann doch wieder alles in Ordnung.

  • W
    wahlschottin

    So wie es aussieht, sind die Iren auch nicht wirklich lernfaehig, so als ganzes. Habe vor zehn Jahren in Dublin gelebt, und als es in einer stillen Winternacht dann doch ein Mal (!) schneite, so fuer 'ne Stunde, ging gar nichts mehr. Auch nicht am naechsten Morgen -- DART, Busse, normaler Strassenverkehr -- alles tot. War froh, meine Wanderstiefel dabei zu haben; zu Fuss war ich drei mal so schnell wie alles andere.

    Aber wie will man es ihnen auch erklaeren? Die meisten Haeuser (zumindest suedlich vom Liffey...) haben Ananas-Palmen (!) im Vorgarten stehen. Das Konzept "Winter = Schnee" kriegt man den guten Leuten einfach nicht mehr beigepult. Wenn man ihnen was von Sandboxen und Salzstreuen erzaehlt, dann kriegt man eben die oben beschriebenen Blicke.

    Andererseits auch irgendwie beruhigend zu wissen, dass manche Dinge sich nicht aendern; egal, wieviel Zeit vergangen ist...

  • V
    vreni

    .. war silvester ebenfalls in Dublin.. ganz schön erschreckend wie schlecht die Iren auf den Winter vorbereitet sind...und was da einige Irinnen für´n outfit anhatten: mini und stöckelschuhe war doch relativ unpassend.. unpassend zum Wetter und unpassend zu den teilweise ausladenden figuren...