die Wahrheit: Der homosexuelle Mann
… schaut nur ungern zurück. Das hindert ihn daran, all jene zu würdigen, die mit ihrer Lebensleistung dazu beigetragen haben, dass Schwule heutzutage so leben können, wie sie leben.
Deshalb sei hier an Jean Le Bitoux erinnert, einen französischen Journalisten und Schwulenaktivisten, der – obwohl in Deutschland fast völlig unbekannt – einen großen Einfluss hatte auf die Entfaltung einer radikalpolitischen Schwulenbewegung in seiner Heimat, aber auch hierzulande. Jean Le Bitoux starb am 21. April 2010 im Alter von 62 Jahren an den Folgen von Aids.
Le Bitoux macht seine ersten Erfahrungen in der Schwulenbewegung in Nizza, bevor er Mitte der Siebzigerjahre nach Paris wechselt. Zusammen mit Guy Hocqenghem bewirbt er sich bei den Wahlen 1978 um einen Sitz im Parlament. Ohne Erfolg, trotz prominenter Unterstützer, von Arrabal über Simone de Beauvoir, Marcel Carné und Marguerite Duras bis hin zu Christiane Rochefort und René Schérer.
Noch im selben Jahr kommt es in der Küche des Philosophen Michel Foucault zu einem folgenschweren Treffen: Zusammen mit zwei Kollegen und mit Foucault ist Le Bitoux auf der Suche nach einem Namen für sein neuestes Projekt, eine Schwulenzeitung. Foucault hat die zündende Idee, Gai Pied. Dieser Name, mehrdeutig wie es die Franzosen mögen, meint wörtlich übersetzt "fröhlicher" oder "schwuler Fuß", erinnert aber auch an die "pieds noirs", die Algerienfranzosen. Schließlich kann "gai pied" auch als "guêpier" verstanden werden, auf Deutsch: das Wespennest.
Wie ein Paukenschlag erscheint Le Gai Pied im April 1979 zum ersten Mal, erhältlich an rund 2.000 Verkaufsstellen im ganzen Land. Sein Begründer und Kopf: Jean Le Bitoux. Sein Ziel: homosexuelle Sichtbarkeit. Die zunächst als Monatsheft, später wöchentlich erscheinende Zeitschrift kommt aus dem Stand auf eine Auflage von 10.000 Exemplaren und wird für andere Blätter in West-Europa zum Vorbild für einen engagierten Schwulenjournalismus.
Aber schon vier Jahre später gibt Le Bitoux auf, er will nicht über schwulen Lifestyle schreiben, aus Protest gegen die wachsende Kommerzialisierung des Blattes verlassen mit ihm 30 Redakteure, Autoren und Korrespondenten das Magazin. Inzwischen hat Aids auch Europa erreicht, Foucault stirbt 1984 an den Folgen, sein Lebensgefährte Daniel Defert gründet AIDES, vergleichbar mit der Deutschen Aids-Hilfe. Le Bitoux engagiert sich hier von Beginn an.
Aber auch der Erinnerung an die von den Nazis verfolgten, inhaftierten und getöteten Schwulen widmet er sich. Gemeinsam mit dem elsässischen KZ-Überlebenden Pierre Seel veröffentlicht er 1994 dessen Erinnerungen. Seine letzte große Aufgabe sollte der Aufbau eines Schwulenarchivs sein, dazu ist es nicht mehr gekommen, die notwendige Hilfe offizieller Stellen bleibt aus. In der Libération erinnert Daniel Defert an Jean Le Bitoux: "Er war ein Vorkämpfer für ein schwules Gedächtnis, einer, der die Erinnerung an die Kämpfe der Homosexuellen wachhalten wollte, an ihren Widerstand und an ihre Erniedrigungen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“