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die WahrheitGefahr im Verzug

Kolumne
von Michael Sailer

Schwabinger Krawall: Polizeiobermeister Stanggradl hat manches schon erlebt, aber dass ihn drei Kollegen über Funk zu Hilfe rufen, weil sie einer 95-jährigen Frau nicht Herr werden ...

P olizeiobermeister Stanggradl hat manches schon erlebt, aber dass ihn drei Kollegen über Funk zu Hilfe rufen, weil sie einer 95-jährigen Frau nicht Herr werden, ist eine neue Erfahrung. Am Tatort der gemeldeten Beamtenbeleidigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung ist die Lage unübersichtlich: Ein Kollege sitzt auf der Treppe und hält sich die Backe, die anderen mühen sich, die rasende Frau unter Kontrolle zu bekommen, die mit einem Besen um sich schlägt, sie als Rotzlöffel beschimpft und von einer jüngeren Frau lautstark unterstützt wird.

Da POM Stanggradl Frau Reibeis gut kennt, gelingt es ihm, sie zu beruhigen. Auf die Frage, wie es zu dem Tumult gekommen sei, sagt sie, sie habe sich gerade ihren Tee zubereitet, da habe es an der Tür geklingelt und geklopft. Sie sei in Küchenschürze und Kopftuch gewesen, habe sich notdürftig zurechtgemacht, in der Zwischenzeit hätten die vermaledeiten Malefiztracken jedoch die Tür eingetreten, woraufhin sie sich gegen den Überfall zur Wehr gesetzt und dem Rädelsführer eine Watschn verabreicht habe.

Zum Glück habe Frau Hammler das Gepolter mitbekommen und sei ihr beigestanden. Gemeinsam sei es ihnen gelungen, die Eindringlinge hinauszubefördern. Diese hätten eingeräumt, sich in der Tür geirrt zu haben, weigerten sich aber, die Reparatur zu bezahlen, und seien erneut auf sie losgegangen, nachdem sie auch den anderen beiden verdientermaßen eine geschmiert habe.

POM Stangradl fragt, wieso sie nicht durch den Türspion geschaut habe. Einen Türspion, erklärt Frau Reibeis, habe und brauche sie nicht, weil sie für ihre 95 Jahre noch gut sehe und mit einem Blick aus dem Fenster festgestellt habe, dass drunten ein Lieferfahrzeug stehe. Sie habe jedoch nichts bestellt; zudem trage der Wagen die Aufschrift „Alkohol und Drogen“, und mit diesem Firlefanz wolle sie nichts zu tun haben.

Es sei, sagt der an der Backe verletzte Beamte, die Pflicht eines jeden Bürgers, unverzüglich die Tür zu öffnen, wenn die Polizei davorstehe. Ein Recht auf Zögern gebe es nicht, im Zweifelsfall sei Gefahr im Verzug und er wiederum verpflichtet, sich Einlass zu verschaffen. Immerhin gehe es um die Festsetzung eines gesuchten Intensivtäters, da habe der Bürger mit seinem Privatsphärengebimse zurückzustehen, zumal es ja um seinen Schutz vor kriminellen Elementen gehe. Frau Reibeis holt mit dem Besen aus, aber POM Stanggradl hält sie zurück.

Später erzählt Frau Hammler ihrem Mann, es sei alles einigermaßen glimpflich ausgegangen: Frau Reibeis habe versprochen, das nächste Mal notfalls in Schlüpfer und Büstenhalter aufzumachen, wenn ihr die Polizisten das Türschloss reparieren – was der nette Herr Wachtmeister Stanggradl übernommen habe, weil die jungen Männer so ungeschickt seien und er dafür von Frau Reibeis eine Raine Apfelstrudel gekriegt habe.

Herr Hammler sagt, das sei im Grunde Bestechung und mithin Korruption, einen Wachtmeister gebe es nicht, das sei eine strafbare Beleidigung, und er wolle davon sowieso nichts wissen, sondern seine Ruhe.

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