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der trend geht zum zweitbaum

von RALF SOTSCHECK

Es ist auch in Britannien Tradition, zum Weihnachtsfest einen Tannenbaum im Wohnzimmer aufzustellen und ihn mit allerlei Glitzerzeug zu behängen. Es gibt sogar die Zeitschrift The Christmas Tree Monthly, die Geheimtipps für den letzten Schrei in Sachen Baumschmuck verrät. Die Auflage soll stark schwanken. Dass Königin Charlotte diesen Baumbrauch vor rund 200 Jahren aus Deutschland importiert hat, hängt die Weihnachtsbaumindustrie freilich nicht an die große Glocke, um den nationalbewussten Briten nicht das Fest zu verderben.

Charlotte ließ im 18. Jahrhundert erstmals einen Weihnachtsbaum in Kew Gardens aufstellen, jenen Londoner Gärten, die wegen ihrer viktorianischen Gewächshäuser berühmt sind. Zu Unrecht übrigens – es sind Nachbildungen, weil die Parkverwaltung zu geizig war, die Originalteile restaurieren zu lassen. In diesem Jahr sind auch die Weihnachtsbäume unecht. Tony Kirkham, der für die Pflanzen in Kew Gardens zuständig ist, ließ 40 identische Plastikbäume anfertigen, weil die Natur unfähig ist, Bäume mit so breiten Zweigen zu produzieren, dass 4.000 Kerzen darauf Platz haben. „Es ging nicht um Naturschutz, sondern um den Effekt der Lichter in der Dunkelheit“, sagt Kirkham. „Nachts sehen die Bäume fantastisch aus.“ Nachts sind alle Katzen grau. Er hätte die Lichter genauso gut an Laternenmasten schnallen können, das hätte auch fantastisch ausgesehen.

Dabei lockt Kew Gardens die Besucher mit „Küssen unter dem Mistelzweig, Kränzen aus Stechpalmen und Efeu sowie Weihnachtsbäumen voller Lametta“. Alles Fake. Da kann man sich ja gleich eine aufblasbare Gummipuppe mitbringen und sie unterm Gummimistelzweig mit Gummi . . . na, reden wir von erfreulicheren Dingen.

Es gibt eine andere Weihnachtstradition in Großbritannien: das Klauen von Weihnachtsbäumen. 70 Millionen Stück Nadelhölzer stehen in britischen Wäldern. Da die Dinger aber nur langsam wachsen, ist lediglich ein Bruchteil davon weihnachtsbaumtauglich. Und auf den haben es die Diebe abgesehen. Viele Baumzüchter verbringen den Dezember im Wald, um die Bäume zu bewachen. Es steht viel Geld auf dem Spiel, denn der Trend gehe zum Zweitbaum, glaubt ein Züchter. Manche seiner Kollegen haben Flutlicht im Wald installiert und lassen Gänseherden Wache schieben. Zehn Prozent der Bäume werden dennoch gestohlen. Neuerdings machen sich die Diebe nicht mal mehr die Mühe, mit der Säge in den Wald zu gehen. Der Supermarktkette Tesco kamen voriges Jahr 10.000 Stück aus dem Lager abhanden. In diesem Jahr hat man Soldaten im Ruhestand angeheuert, um die verderbliche Ware zu beschützen.

Der Weihnachtsbaummarkt in Großbritannien ist 150 Millionen Pfund im Jahr wert, sei allerdings sehr saisonabhängig, sagt Roger Hay vom „Verband der britischen Weihnachtsbaumzüchter“. Es ist erstaunlich, für was es alles Verbände gibt. Angeblich soll sich bereits eine „Interessengemeinschaft unabhängiger Plastikweihnachtsbaumkonstrukteure“ unter Schirmherrschaft von Kew Gardens formieren.

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