der stadtentwicklungsplan verkehr (teil 8) : ÖPNV unter Druck: Wie viel und welchen öffentlichen Personenverkehr brauchen wir in Berlin?
Wenig Veränderungsbereitschaft bei allen wichtigen Akteuren
Mit dem Stadtentwicklungsplan Verkehr (StEP) beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf das Jahrzehnt der Restauration der Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutieren an dieser Stelle, immer freitags, über die Zukunft der Berliner Verkehrspolitik.
Berlin hat ein im Vergleich zu anderen Metropolen sehr leistungsfähiges Verkehrssystem. Das ist vor allem durch die Stadtanlage des 19. Jahrhunderts begründet. Berlin ist schon historisch eine Mieterstadt und eine Stadt des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Entsprechend ist die Motorisierung der Bevölkerung im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten gering. Etwa die Hälfte der Berliner Haushalte hat kein Auto. Man kommt offensichtlich auch ohne ganz gut zurecht. Warum ist das so?
Dies funktioniert, weil Berlin immer noch ein Verkehrssystem hat, das trotz aller „Bausünden“ an die städtebauliche Struktur angepasst ist. Werden jedoch die als Boulevards geplanten großen Straßen noch mehr dem Auto überlassen und andere Nutzungen zurückgedrängt, verkehren sich die Vorteile in Nachteile. Denn Berlin hat wenig Freiraum außerhalb der Straßen. Auch Hauptstraßen sind bewohnt, haben Geschäfte, dienen der Stadtbelüftung und können nicht grenzenlos verlärmt werden.
Die Stadtentwicklung Berlins ist daher eng mit seinem Verkehrssystem verknüpft. Soll die urbane Qualität Berlins nicht verspielt werden, ist es erforderlich, den Anteil der flächenverbrauchenden, gefährlichen und umweltbelastenden Verkehrsmittel zu reduzieren und die Attraktivität der Alternativen zu verbessern. Berlin braucht daher ein besseres Angebot an öffentlichem Personenverkehr. Das fordert der Stadtentwicklungsplan Verkehr und darüber sind sich eigentlich auch alle relevanten Akteure der Stadt einig.
In den letzten Jahrzehnten wurde erheblich in den Berliner ÖPNV investiert. Trotz hoher Zuschüsse konnte eine Verkehrswende nicht erreicht werden. Der Anteil des ÖPNV am Berliner Verkehrsmarkt blieb im Wesentlichen unverändert. Woran liegt das? Sind die Angebote falsch? Brauchen wir einen individualisierten ÖPNV? Haben die Verkehrsunternehmen (BVG, S-Bahn und andere) zu wenig Handlungsfreiheit oder sind sie selber die Ursache des Stillstandes?
Berlin bietet im Grundsatz gute stadträumliche Voraussetzungen für einen klassischen öffentlichen Personenverkehr. Die hohen Baudichten und die dezentrale Stadtstruktur mit aktiven Bezirkszentren ergeben gebündelte Verkehrsbeziehungen, von denen andere deutsche Großstädte nur träumen können. Die grundsätzlichen Marktchancen eines ÖPNV-Angebots mit festen Linien und Fahrplänen können also gar nicht so schlecht sein.
Trotz der guten stadträumlichen Voraussetzungen ist der von Berlin gezahlte Zuschuss pro Fahrgast vergleichsweise hoch. BVG und S-Bahn befördern pro Jahr mehr als 1 Milliarde Fahrgäste und erhalten dafür Zuschüsse von ebenfalls bis zu 1 Milliarde Euro (davon circa ein Drittel vom Bund und von der Netz AG der Deutschen Bahn). Trotzdem werden voraussichtlich die Defizite der BVG weiter wachsen (von 800 Millionen Euro im Jahr 2003 auf 1.800 Millionen Euro im Jahr 2007).
Sicherlich sind Fehler der Verkehrsplanung, wie z. B. eine unzureichende Regulierung des Autoverkehrs, in Berlin ausgeprägter als anderswo. Dennoch zeigen die Zahlen auch ein Effizienzproblem, das angesichts zu geringer Veränderungsbereitschaft bei allen wichtigen Akteuren zu einem Problem der grundsätzlichen Organisation des ÖPNV in Berlin geworden ist. In dieser Situation hat das Deutsche Institut für Urbanistik ein Planspiel zu den Chancen von mehr Wettbewerb durchgeführt. Es gab überraschend viel Übereinstimmung in Detailpunkten. Auf eine gemeinsame Perspektive konnten sich die Beteiligten erwartungsgemäß jedoch noch nicht einigen. Zu ungleich verteilt waren die Ausgangsbedingungen und die Gewinner und Verlierer.
Nicht nur aus Sicht der besonderen Voraussetzungen Berlins hält der Verfasser aber Wettbewerb für erforderlich. Ein echter Wettbewerb der Verkehrsunternehmen kann neue Chancen für die Stadtentwicklung eröffnen, weil in einem politischen Diskurs darüber entschieden werden muss, welcher ÖPNV an welcher Stelle bestellt werden soll. Dabei sollte davon ausgegangen werden, dass in Zukunft der öffentliche Personenverkehr in Berlin nicht nur von zwei Quasi-Monopolisten (BVG und S-Bahn), sondern auch von anderen Verkehrsunternehmen durchgeführt wird. Es könnte dann z. B. Stadtbusse geben, die sich auf die Ansprüche bestimmter Bezirke spezialisiert haben. Oder es wird Unternehmen geben, die sich nur um Nachtlinien kümmern. Die Verträge könnten so gestaltet sein, dass die Verkehrsunternehmen ein Eigeninteresse an besserer Leistung und neuen Fahrgästen haben. Eine Managementgesellschaft sollte im Auftrag des Senats darauf achten, dass bei aller Vielfalt der Unternehmen ein für den Fahrgast übersichtliches Angebot erhalten bleibt. Nicht zuletzt kann in einem so organisierten kontrollierten Wettbewerb sichergestellt werden, dass der ÖPNV seine Dienstleistungsfunktion gegenüber den Fahrgästen erfüllt und einen Beitrag zur urbanen und nachhaltigen Entwicklung der Stadt leistet.
MICHAEL LEHMBROCK
Der Autor ist Projektleiter im Arbeitsbereich Umwelt und Verkehr am Deutschen Institut für Urbanistik. Dort leitete er eine Studie zu „ÖPNV im Wettbewerb – Management-Planspiel in der Region Berlin“, deren Ergebnisse kürzlich als Buch veröffentlicht wurden.Nächste Woche: Fahren Busse und Bahnen sich selbst aufs Abstellgleis?