der rote faden: Ein Tony hätte die Wahl gewonnen
Durch die Woche mit Robert Misik
Aufgewacht, und die Tories hatten beinahe eine Zweidrittelmehrheit im britischen Unterhaus. Und viele Linke wundern sich jetzt wieder, wie so häufig, wenn Wahlen für sie schlecht ausgehen. Ein kluger Kopf schrieb auf Twitter:
„Sie (also die Linke) schafft nicht mal mehr, zu verstehen, wie ‚die da‘ einen wie ‚den da‘ wählen können – wie soll sie sie dann je (wieder) für sich gewinnen?“
Die wirkliche Welt zeichnet sich eben durch die bejammernswerte Eigenart aus, dass mehrere Dinge zugleich wahr sein können. Dass eine neoliberal versiffte Sozialdemokratie an Glaubwürdigkeit verlor, eine scharf nach links gerückte aber die Mitte verlieren kann, ohne zugleich wieder Glaubwürdigkeit bei den ominösen „einfachen Leuten“ zurückzugewinnen. Dass man zugleich ein großes, breites Zelt braucht, aber bei Schlüsselfragen auch nicht planlos herumeiern kann.
Wahr ist: Tony Blair hat Labour seinerzeit in eine fatale Richtung geführt. Wahr ist aber auch: Ein politischer Fuchs und Menschenfischer wie Tony Blair hätte diese Wahl haushoch gewonnen.
Auf der taz-Website las ich diese Woche die Ankündigung für die jüngste Ausgabe der Zeitschrift FuturZwei: „Revolution oder richtige Politik?“ Hmmmm. „Revolution“ meint im Deutschland von 2019 ja nicht wirklich „Revolution“, sondern steht für Maximalismus, Entschiedenheit und Leidenschaft. „Richtige Politik“ dagegen steht für Augenmaß, Realismus und Geschmeidigkeit.
Wenn Sie mich fragen würden: Ich bin da irgendwie für beides.
Das erinnert mich an eine kleine Begegnung, die ich vor rund zwanzig Jahren hatte. Ich saß mit einem österreichischen Politiker, der Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff und einer deutschen Sozialdemokratin beim Heurigen in Wien, und die deutsche Sozialdemokratin hatte zu den im Laufe des Abends diskutierten Themen eine klare Meinung. Die Welt war herrlich in richtig und falsch aufgeteilt. Irgendwann beugte sich der Ex-Innenminister zu mir und flüsterte mir zu: „Ich wäre auch einmal gerne von meiner Meinung so überzeugt wie sie von ihrer.“
Viele Linke haben vielleicht wirklich gedacht, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken müssten die SPD nur auf einen Corbyn-Kurs bringen und dann wäre jedes Problem gelöst. Man sollte annehmen, diese Leute wären seit Freitagnacht geheilt von diesem Gedanken.
Ich fürchte aber, sie legen sich die Sache schon wieder schön zurecht, so von der Art, dass nur die anderen, der Neoliberalismus, die Revolverblätter oder der Nationalismus an diesem Debakel in Großbritannien schuld seien.
Nächste Woche: Ariane Lemme
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