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der rote fadenRot, rot, rot sind alle meine Kleider

Durch die Woche mit Ebru Taşdemir

Sie haben als Leser*in natürlich das Recht zu glauben, dass diese Kolumnen an ellenlangen, gewachsten Eichentischen entstehen, das Vögelchen im Hintergrund zwitschert und der Espressokocher in der Küche angenehm vor sich hinröchelt. Selbstverständlich haben Sie auch das Recht anzunehmen, das Kolumnenlieferant*innen beim Kolumnieren rauchen, und sich nach der Mail an die Redaktion mit einem tippitoppi fertigen Text einen gut gekühlten Crémant gönnen. Aber ich muss Sie hier mal enttäuschen.

Manchmal kommt das Leben dazwischen, und heute früh kam das Leben gewaltig dazwischen (bitte fragen Sie nicht). Sprich, ich musste sehr früh raus und glaubte, nicht mehr rechtzeitig an den Schreibtisch zu kommen. So war es denn auch. Diese Kolumne wird Ihnen also heute aus einer guten deutschen Kaufhauskette aus einem Randbezirk der Hauptstadt präsentiert. Hier wird noch berlinert.

Im Speiserestaurant im 3. Stock sitze ich an der einzig verfügbaren Steckdose und hebe leicht den Altersdurchschnitt. Die Gespräche am Nebentisch drehen sich um das Mittagsangebot – Bratfisch mit Kartoffeln und Buttermöhren –, um eine Freundin im Krankenhaus und gute Ärzte.

Mittagsangebot

Irgendwie finde ich es doch ganz gut, wenn das Leben einem so dazwischenkommt. Vorgestern erst hat eine Münchner Freundin Berlin besucht. Über meine Geburtsstadt sagte sie, dass es eben voll und laut und dreckig ist und man in Kreuzberg viele arme und psychisch kranke Menschen auf den Straßen sieht, viel mehr als in, ha ha, München-Schwabing. Hier sehe man das Leben, wie es wirklich ist. Ich fand es ganz treffend. Für Kreuzberg.

Wenn ein Mensch krank wird, also ernsthaft krank, dann haben alle anderen still zu sein oder einfach zu wünschen: Gute Genesung. Alles Gute. Viel Kraft. Good vibes, so was.

Wenn eine Person des öffentlichen Lebens an Krebs erkrankt, dann sind gehässige Kommentare nicht weit.

Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, hat in dieser Woche ihre Brustkrebserkrankung öffentlich gemacht. Am Montag erhielt sie die Diagnose, Dienstag früh teilte sie das Wissen um die Krankheit mit ihrer Partei und der Öffentlichkeit. Auf Twitter wurde ihr Video über 150.000 Mal gesehen und wer nach dem Gucken kein Pipi in den Augen hat, hat kein Herz.

Schwabing

Prompt twitterte ein Herr der Abteilung bayerisches FDP-Bodenpersonal, dass es ihm doch schwerfalle, ihr Gutes zu wünschen, bei all dem, was sie unter anderem „gegen Männer“ habe.

Irgendwo in der Hölle hinten links gibt es, in­shallah, einen Bereich für diese Menschen. Daran möchte ich fest glauben. Zum Glück kommt die Hölle, frei nach Sartre, nicht erst nach dem irdischen Dasein für einige Neunmalkluge, sondern ist auf Twitter bereits sehr real.

Denn prompt pfiff die FDP Bayern den Kollegen zurück. FDP als Kürzel für „Feinde der Pietät“ wäre ein schiefer Witz, mit dem man das Ganze kommentieren könnte. Wenn Menschen wie Manuela Schwesig öffentlich über ihre Erkrankung sprechen, ist das einzig Gute daran, dass Aufmerksamkeit generiert wird. Awareness, wie man auf Instagramdeutsch sagen würde.

Brustkrebs

Awareness braucht übrigens dieser Bereich in unserem Leben dringend: Der bare Kapitalismus schaut uns Frauen* auf unsere Zyklen. Ganz einfach über Menstruationsapps, wo man einträgt, wann man seine Tage bekommen hat. Die Apps fragen Schlafgewohnheiten, Haut und Haarprobleme und vieles andere ab, um dann unsere Daten an Facebook oder Instagram verkaufen zu können.

Zyklengenaue Werbung. Vor der Periode erscheint dann auf Werbung für Schokolade und Eis, während des Eisprungs Sexspielzeug und wenn wir schwanger werden, Babyklamotten. Der Guardian hat dazu das tolles Video „How period is making other people rich“ veröffentlicht.

Menstruation

Und während dem Kapitalismus das Menstruationsblut aus dem Mundwinkel tropft, sind wir in den Randbezirken und in München-Schwabing noch dabei, Mädchen mit „das ist ja keine Krankheit“ und „stell dich mal nicht so an“ maßzuregeln, im Sportunterricht zum Beispiel.

Beide Sätze fallen so bis heute tagtäglich in Oberschulen. Wetten? Meist sind es Lehrerinnen, die dem Mädchen sagen wollen, was es zu empfinden hat. Während also der Kapitalismus alle unsere Sensitivitäten überprüft und Kapital aus uns schlägt, sagen auf der anderen Seite meist ältere Frauen jungen Frauen, was sie zu empfinden haben.

Um die Mittagszeit herum sitzen jetzt übrigens viele Mütter mit kleinen Kindern im Kaufhausrestaurant. Vielleicht prosten wir uns gleich über den Tisch hinweg zu. Zum Kolumnenende gibt es statt Crémant Piccolosekt. Cheers!

Nächste Woche Ariane Lemme

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