der rote faden: It’s not the Verkehrsmittel, stupid
Durch die Woche mit Johanna Roth
Gelegentlich soll es ja hilfreich sein, sich in die Lage eines Feindbilds zu versetzen. Und damit meine ich jetzt nicht die bemerkenswert hartnäckige Illusion, Rechtsextreme bekämpfe man am besten, indem man ihnen auf möglichst hohem intellektuellem Niveau erläutert, dass und warum sie Rechtsextreme sind, woraufhin diese sich freundlich bedanken, ihr Handeln überdenken, ihr Umfeld bekehren und ihre Parlamentssitze räumen, weil es ihnen ja genau daran gefehlt hatte: an Erkenntnis.
Nein, ich spreche von einem harmlosen kleinen Ausflug auf die dunkle Seite: Vergangene Woche bin ich sowohl innerhalb Deutschlands geflogen als auch dieselbe Strecke mit dem Zug gefahren, habe ein Auto durch die Hauptstadt gesteuert und bin ins Büro geradelt. Und so richtig toll war das alles nicht.
Bevor Sie jetzt tief Luft holen: Flight Shaming wirkt bei mir nicht mehr. Solange die Deutsche Bahn sich außerstande sieht, einer Person mit Bahncard und Fernbeziehung wenigstens ein ähnliches Preisniveau zu bieten wie Lufthansa und Eurowings anstatt mindestens das Doppelte zum selben Buchungs- und Reisezeitpunkt, versuche ich zu sparen, indem ich die Strecke nach München zweimal im Jahr fliege, statt wie sonst grummelnd den günstigsten Zug um halb 5 Uhr morgens zu buchen. Anstelle von Schlafdefizit und Schnupfen hole ich mir dann ein schlechtes Gewissen, aber warum soll das eigentlich primär mein Problem sein und nicht das derjenigen, die die (Preis-)Politik machen? Klimaschutz muss man sich leisten können, das gilt vielleicht nicht länger für Bioprodukte im Supermarkt, aber umso mehr für die Wahl des Fortbewegungsmittels. Soll das Ganze nicht zum Selbstvergewisserungsdiskurs einer privilegierten Mittelschicht verkommen, braucht es da dringend Lösungen.
Seitdem ich mich diese Woche in Berlin mal unter die Autofahrer begeben habe, weiß ich aus staunender Beobachtung: It’s not the Verkehrsmittel, stupid. Menschen auf Rädern sind potenziell genauso schlimm wie Menschen in Autos. Sie schneiden beim Überholen, drängeln sich an der roten Ampel vor, und zwar rein aus Prinzip, auch wenn sie wissen, dass du sie gleich wieder überholen wirst. Sie ertragen es nicht, Zweiter zu sein, und sie drängen weniger aggressive Radfahrer mit genauso selbstgewissem Grinsen ab, wie sie auch den Autos, die vorsichtig an ihrem ausladenden Fahrstil vorbeizufahren versuchen, auf die Motorhaube hauen. Idioten – es sind, ich erwähne dies nur der Vollständigkeit halber, hauptsächlich Männer, die sich so verhalten – aus Innenstädten verbannen geht freilich nicht, umso schneller müssen die Autos raus, denn je mehr Menschen Fahrrad fahren, desto enger wird es, und dann gnade uns Gott.
Wohingegen man als Fußgänger in Fahrradstädten auch nicht unbedingt Spaß hat. Oldenburg zum Beispiel, dieses wunderschöne Villenviertel oben in Niedersachsen, hat Fahrradwege, von denen Berlin noch träumt. Aber versuchen Sie mal, da auch nur den großen Zeh über die Grenzmarkierung des Fußgängerpfades zu setzen. An jeder Ampel wartet eine Phalanx aus Lastenrädern, die auf offener Strecke zu erstaunlichem Tempo fähig sind, allerdings in etwa genauso mühsam zu bremsen scheinen wie ein durchschnittlicher Güterzug. Da malt man sich dann schon mal notgedrungen aus, dass das Letzte, was man im Leben sehen wird, Finn-Oles Brotdose ist, die einem aus dem ledergepolsterten Bakfiets entgegengeschleudert kommt. Ich bin ja sowohl für das Tempolimit als auch für Radschnellwege und sogar sehr für Lastenräder statt Autos in Innenstädten, aber wenn man das alles noch irgendwie zusammen denken täte, ginge es sich noch unbeschwerter durchs Leben.
Denn schneller sein ist keine Alternative. Seit ein paar Tagen überschwemmen E-Roller mit niedlichen kleinen Nummernschildern die Welt, cruisen Männer in Anzügen und mit umgehängten Aktentaschen bemüht lässig die Friedrichstraße runter. Die Dinger sind verdammt schnell, wirken aber nicht eben stabil und leicht zu steuern schon gar nicht. Schon mehren sich die Meldungen über erste Unfälle, zwei Frauen in Berlin verletzten sich schwer, und in Nashville, Tennessee, verbot der Bürgermeister die Roller wieder, nachdem ein junger Mann unter Alkoholeinfluss bei einer Kollision mit einem Auto gestorben war. Das deutsche Twitter erfreut sich derweil noch an Witzen über mögliche Vorteile von E-Scootern angesichts des Mangels an Organspendern.
Bis die Verkehrswende endlich kommt, bewegt man sich wohl am besten so wenig wie möglich. In diesem Sinne: Legen Sie die Füße hoch, soll ja auch wieder heiß werden diese Woche. Ich fliege derweil nach Nashville, solange ich mir das noch erlauben kann, und teste mal, ob nicht die beste Option wäre, direkt wieder aufs Pferd umzusteigen. See you in October!
Nächste Woche Nina Apin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen