piwik no script img

der rote fadenWer weniger lacht, hat auch weniger Probleme. Oder?

Durch die Woche mit Robert Misik

Von Karl Lagerfeld stammt ja der Satz „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Als ich vergangenen Dienstag vom Verscheiden des exzentrischen Fashionmanns erfuhr, lag mir natürlich sofort der Scherz auf den Lippen: „Wer stirbt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Kurz war ich versucht, das Witzchen ins Internet zu hämmern. Ich ließ es dann aber bleiben. Über das Sterben macht man keine Witze. Wenn einer stirbt, darf man doch nicht lachen.

Lagerfeld

Nennen Sie mich Spaßbremse. Oder Tugendterroristen. Keine Sorge: Generell bin ich ohnehin nicht so. Eigentlich kann ich über alles lachen. Moralinsauer und humorlos, so sehe ich mich jedenfalls nicht.

Unlängst fand ich auf der Wissenschaftsseite der Süddeutschen einen Bericht über eine Studie, deren Ergebnisse im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht wurden. „Menschen mit ausgeprägtem moralischen Selbstverständnis verfügen demnach über einen eher reduzierten Sinn für Humor“, referierte die SZ die Forschungsergebnisse der beiden Wissenschaftler Kai Chi Yam und Christopher Barnes. Die Forscher hatten bei Hunderten Probanden zunächst die Ausprägung eines moralischen Wertekorsetts ergründet und ihnen dann ein paar Späße vorgelegt, die mit ethischen Tabubrüchen spielen. Das Ergebnis: Wer eine rigidere moralische Richtschnur hat, der findet inkorrekte Scherze weniger zum Lachen. Nun gut, Sie sagen jetzt vielleicht: Das habe ich auch ohne Studie geahnt.

Rigidität

Über die Zusammenhänge kann man lange Überlegungen anstellen. Zunächst stellt sich ja die Frage, ob Humor und Moral überhaupt irgendwie zusammenhängen. Und wenn ja, wie. Manche Menschen haben moralische Prinzipien, wissen aber aus der Lebenserfahrung, dass man nicht immer seinen eigenen Prinzipien treu sein kann. Daraus entsteht eine Fallhöhe zwischen dem ethischen Selbstbild und dem realen Handeln. Das ist üblicherweise eine gute Quelle für Humor. Wenn man nicht verzweifeln will, dann lacht man über sich selbst und sein persönliches Ungenügen, man wirft gewissermaßen einen ironischen Blick auf sich selbst. Wer rigide moralische Standards hat und auch noch rigide nach diesen lebt, muss mit diesem Spannungsverhältnis nicht umgehen. Eine solche Person hat weniger zu lachen (und wahrscheinlich auch sonst weniger Spaß). Aber vielleicht auch weniger Probleme.

Heilige

Nun kann man sich natürlich lange Gedanken machen über das Verhältnis von Korrelation und Kausalität. Vielleicht sind Menschen, die ihren eigenen moralischen Grundsätzen nicht treu sind, humorvoller. Vielleicht sind aber, umgekehrt, auch humorvolle Menschen von der Art, dass sie ein ironisches, lässigeres Verhältnis zu allen Dingen haben und deshalb auch zur Moral. Kurzum: Sind unmoralische Menschen humorvoller? Oder sind, umgekehrt, humorvolle Menschen unmoralischer? Womöglich ist die Sache ja noch viel komplizierter: Manche Menschen können mit Unsicherheiten leichter umgehen, manche schwerer. Letztere brauchen unbedingt so etwas wie fixe Leitplanken, sie sind im Allgemeinen rigide Charaktere. Diese haben dann eher klare ethische Regeln und folgen denen auch eher und sie sind zugleich auch ein wenig humorlos. Dann ist der Zusammenhang zwischen Humor und Moral von einer ganz anderen Kausalität. Die Selbstbeobachtung und die Beobachtung unserer Mitmenschen findet Indizien für jede dieser Möglichkeiten.

Ambivalenz

Das Wort vom Tugendterror ist eine rechtspopulistische Kampfvokabel geworden, aber ein paar sozialpsychologische Mechanismen haben das erleichtert. Die einen meinen, dass man etwa gegen Menschen anderer Hautfarbe keine Vorurteile haben oder nicht auf Schwächere runtertreten soll, und sie können sich gar nicht vorstellen, dass man dazu eine andere Meinung haben könnte. Selbst jene, die das gar nicht grundsätzlich diametral anders sehen, können das als impliziten Vorwurf erleben. Auch für diesen Mechanismus haben die Forscher Belege gefunden. Bei Versuchen in Firmen in China und den USA zeigte sich, dass die Menschen mit festeren ethischen Standards und weniger Ironiefähigkeit bei Kollegen „nicht besonders sympathisch rüberkommen“. George Orwell schrieb einmal den schönen Satz: „Zweifellos sind Alkohol, Tabak usw. Dinge, die ein Heiliger meiden sollte, aber auch Heiligkeit ist etwas, was menschliche Wesen vermeiden sollten.“

Persönlich habe ich für all diese Probleme ja noch keine Lösung gefunden. Totale Rigidität ist weder lebbar noch erstrebenswert, dasselbe gilt freilich für die Totalironie allem und jedem gegenüber. Jetzt kann man natürlich sagen, das Leben ist eben so, dass man solche Ambivalenzen aushalten muss. Aber sagen Sie das einmal einem rigiden Charakter. Für den ist vielleicht gerade die Ambivalenz unlebbar.

Nächste Woche Ebru Taşdemir

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen