piwik no script img

der rote fadenAls Theresa May zu den Fehlfarben tanzte

Durch die Woche mit Johanna Roth

Diese Kolumne erreicht Sie aus dem sogenannten Homeoffice, und zwar aus besonderem Anlass: Das Recht darauf, von zu Hause aus zu arbeiten, will die SPD jetzt gesetzlich verankern, als einen der Bestandteile des neuen sozialpolitischen Reformpapiers, das an diesem Wochenende vom Parteivorstand beschlossen werden soll. Tolle Sache, da hab ich doch gleich mal zugegriffen und exklusiv für Sie getestet. Und was soll ich sagen? Bis jetzt ist die Erfahrung durchweg positiv. Das Telefon klingelte genau nullmal, ich weiß jetzt, wann die beste Zeit ist, um beim Bäcker an der Ecke warme Brötchen zu erwischen, und auch, wer der Mistkerl ist, der seit einiger Zeit meine Balkonpflanzen ausbuddelt, um sie dann samt einem ordentlichen Schwung Erde auf die Straße runterzuschmeißen (kann man Krähen eigentlich essen?).

Nahles

Die Wahl des passenden Outfits zum Tag fällt zwar nicht eben leichter als sonst (Hosenanzug? Trainingsanzug? Schlafanzug?), dafür kann man sich in der Cafeteria so viele Kekse zum Kaffee nehmen, wie man will, ohne dass die Kollegen komisch gucken, und nebenbei auch noch das Kind/den Hund/das frisch gestochene Tattoo in Ruhe versorgen. Habe nur noch nicht ganz verstanden, wie sich die SPD das für die vielen Kran­ken­pfle­ge­r*in­nen und Handwerker*innen vorstellt, die sie irgendwann mal wieder wählen sollen, aber da hat man vielleicht eine ähnlich kreative Idee im Hinterkopf wie die, das Konzept, mit dem wir Hartz IV „hinter uns lassen“ (Andrea Nahles), in schönster Analogie zur Agenda 2010 „Sozialstaatsreform 2025“ zu nennen.

Die SPD-Vorsitzende ist derzeit noch weniger zu beneiden als ohnehin schon. Ihre Woche begann denkbar schlecht, weil zuerst zwei der Hauptverursacher der ganzen SPD-Misere Nahles „Amateurfehler“ und Mangel an ökonomischer Kompetenz (Gerhard Schröder im Spiegel) vorwarfen und zweitens Hubertus Heil nun das Sozialministerium „auf Kurs [bringt], das noch vor zwei Jahren die Grundrente gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert hatte“ (Sigmar Gabriel auf Twitter). Vor zwei Jahren hieß die Ministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles und galt noch als Parteilinke, und dass ausgerechnet diese Frau gemeinsam mit einer CDU-Kanzlerin ein soziales Rentenkonzept, das Altersarmut tatsächlich verhindern könnte, aktiv versenkt – daran dürfte nicht mal Schröder glaubt haben, der eine durchaus muntere Fantasie zu haben scheint, mutmaßte er doch im Spiegel auch, dass Wladimir Putin ja selbst der Meinung sei, das könne nicht so weitergehen mit Korruption und dem Fehlen von Rechtsstaatlichkeit.

Brexit

Nein, mit konstruktiver Kritik hat die Schröder-Gabriel-Nummer nichts zu tun. Es ist vielmehr eine weitere Aufführung des immer wieder gern vor möglichst großem Publikum gegebenen Zweiakters „Ein Mann scheitert und mobbt dann aus der politischen Bedeutungslosigkeit heraus die Frau, die versucht, das Ganze wieder zu richten“.

Rentenkonzept

Keine dürfte das Stück besser kennen als Theresa May, britische Premierministerin, die wahre Eiserne Lady der britischen Politik, die sich seit Monaten abmüht, das mit dem geregelten Brexit doch noch irgendwie hinzukriegen. Zum Tory-Parteitag tanzmarschierte May einst in beeindruckender Selbstironie zu Abbas „Dancing Queen“ auf die Bühne, ob sie auch eine heimliche Leidenschaft für Neue-Deutsche-Welle-Schrammelrock hat, ist bislang nicht überliefert. Möglich wär’s, denn die Fehlfarben haben schon 1980 das Lied zum Brexit rausgebracht, es trägt den Titel „Gott sei Dank nicht in England“, entsprechend geht es weiter im Text: „Wo ist die Grenze, wie weit wirst du gehen? / Verschweige die Wahrheit, du willst sie nicht sehen“, und das müssen Sie sich jetzt mit leichtem luxemburgischen Zungenschlag gesungen vorstellen, denn es dürfte ziemlich genau den Worten entsprechen, mit denen Jean-Claude Juncker Theresa May an diesem Donnerstag einmal mehr in Brüssel empfing und auch wieder verabschiedete.

Dancing Queen

Kein Fortschritt, keine Einigung, kein Einsehen. Beim Brexit stockt alles, außer der Uhr, noch sieben Wochen bis zum 29. März. Theresa May – „Bild dir ein, du bist Lotse und hältst das Steuer / Mitten im Ozean spielst du mit dem Feuer“ – reist von G nach B auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wer denn nun eigentlich was will. Denn den großen rosa Elefanten im Raum verdrängt vor allem ihre Partei nach wie vor sehr erfolgreich: Es gibt schlichtweg keine wirklich gute Lösung für das ganze Drama. Nicht so lange, bis endlich jemand das Zeitreisen erfindet.

Der Fehlfarben-Song ist also hoffentlich nicht die Einstimmung auf das, was noch so kommt. Als Warnung an alle, die einen No-Deal-Brexit irgendwie immer noch ganz aufregend finden, eignet er sich aber very well: „Und wenn die Wirklichkeit dich überholt / Hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol / Du stehst in der Fremde, deine Welt stürzt ein / Das ist das Ende, du bist allein.“

Nächste Woche Ariane Lemme

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen