der rote faden: Reden hilft – aber nicht immer und nicht mit jedem
Durch die Woche mit Robert Misik
Als ich vergangenes Wochenende die ersten Nachrichten aus Chemnitz aufschnappte, fühlte ich mich sofort an Rostock-Lichtenhagen 1992 erinnert. Damals hörte ich auch die ersten Nachrichten von der Zusammenrottung im Radio und dachte mir sofort, da musst du hin. Das war auch eine gute Idee von mir, nur leider hat sich das bei der Polizei offenbar niemand gedacht.
So stand ich dort mit meinem Fotografen und ein paar anderen Journalisten und ein paar verlorenen Polizisten. Der Fotokollege fotografierte, was den Nazis gar nicht gefiel. Ein großer Dicker, der seine Reichskriegsflagge wie ein Superman-Cape trug, nahm dem Fotografen dann die Kamera weg und riss den Film aus dem Apparat. Ich zog ihn dann an seiner Deutschlandfahne so wie einen Hund, den man mit der Leine wo wegzerren will, und das war eine nicht ganz so gute Idee. So begann übrigens die Randale an diesem Tag, weil die Polizei dann doch verhinderte, dass man uns zusammenschlug, was wiederum die Nazis für keine gute Idee der Polizei hielten.
Als dann ein paar Stunden später das Sonnenblumenhaus brannte und immer noch viel zu wenig Polizei da war, rückten Polizei, Feuerwehr und Journalisten gemeinsam gegen das Haus vor, das schon ziemlich loderte und in dem sich vor allem vietnamesische Vertragsarbeiter befanden. Ich kann mich noch erinnern, dass ich damals meine erste – und bislang letzte – Tränengasgranate warf. Die Polizei warf sie auf die Nazis, die warfen sie zurück, und ich warf sie wieder rüber.
In meiner Reportage beschrieb ich damals auch den 16-jährigen Alex, der eine Schirmkappe aufhatte mit dem Schriftzug „Malcolm X“, also des radikalen schwarzen Bürgerrechtlers aus den USA der fünfziger und sechziger Jahre. Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen benützte diese Beobachtung dann zu einer Zeitdiagnose in der Zeitschrift Spex, nämlich dass die Codes der Coolness die Seiten gewechselt hätten. „The Kids are not alright“, hieß sein Stück damals. Durch Diederichsen verselbstständigte sich meine nebensächliche Beobachtung, und wenn man heute Lichtenhagen googelt, hat man den Eindruck, alle rechtsradikalen Jugendlichen hätten ein „Malcolm X“-Käppchen aufgehabt. Es war aber nur einer!
Aber das war damals doch eine andere Zeit, denn wenngleich es eine aufgeheizte Debatte über das Asylrecht gab, war der allgemeine Diskurs doch nicht so gekippt. Heutzutage dominieren die Phrasen, man müsse „die Sorgen“ der Leute ernst nehmen, ihnen zuhören, „mit Rechten reden“ und all dieses Zeug, das unterstellt, dass ihr Hass irgendwie rational sei und ihr Zorn auch daher komme, dass ihnen niemand zuhöre. Ich finde, dass das ein schwieriges Argument ist. Natürlich soll man mal grundsätzlich mit jeder und jedem reden, denn bevor man argumentiert, weiß man ja nicht, ob die Person mit Argumenten erreichbar ist.
Außerdem soll man als Journalist ohnehin mit jedem reden. Wenn ich eine Reportage über Nazis mache, dann werde ich mit denen reden, und wenn das eine gute Reportage werden soll, muss ich lange mit ihnen reden, sodass sie anfangen, mir zu vertrauen. Und im Eckwirtshaus rede ich auch mit jedem, schon um zu wissen, wie die Leute ticken. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dieses „mit Rechten reden“ wird ja in der Öffentlichkeit und nicht im Privaten gefordert, und gemeint ist auch, dass es öffentlich stattfinden soll – und nicht nur, dass man denen klar die Meinung geigt, also kämpft, sondern eben das genaue Gegenteil: dass man einfühlsam mit ihnen spricht und öffentlich zur Schau stellt, man halte auch ihre Weltsicht für plausibel. Das hieße dann aber auch, dass „für“ oder „gegen“ Pogrome zu sein zwei mögliche Meinungen wären, über deren Für und Wider man sich unterhalten könne.
Ein solches Reden verschiebt bekanntermaßen die Grenzen des Sagbaren. Aber schlimmer noch: Es führt dazu, dass selbst die Gegner des Rechtsradikalismus in diesem Gespräch bestimmte Postulate des Rechtsradikalismus übernehmen. Dass sich „2015“ nicht wiederholen dürfe, dass die Massenzuwanderung die Gesellschaft überfordere, die Ausländer echt ein Problem seien und so weiter. Doch was eine Gesellschaft überfordert, ist eben nicht fix, sondern massiv von der Ordnung der Diskurse beeinflusst.
In der Realität bedeutet sich auf die Argumente der Bösmenschen einlassen, ihnen Millimeter für Millimeter nachzugeben und die eigene prinzipielle Position aufzuweichen. Schwäche zu zeigen, wo eigentlich Standfestigkeit nötig wäre. Mit Rechten reden meint viel zu oft wie Rechte reden.
Und das ist keine gute Idee.
Natürlich kann man auch mit Rechten reden. Aber in vielen Fällen wäre es doch besser, wenn das die Untersuchungsrichter besorgen würden und nicht die Talkshowmoderatorin.
Nächste Woche Saskia Hödl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen