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der rote fadenWenn Schmocks sich distanzieren, fliegen die Maikäfer hoch

Durch die Woche mit Johanna Roth

Wann darf man jemanden einen Antisemiten nennen? Wenn er sagt, er sei keiner, dann jedenfalls nicht, dem Landgericht Regensburg sei Dank. Auch nicht, wenn er so was hier textet, erinnernd an das uralte judenfeindliche Klischee der im Geheimen die Geschicke der Welt steuernden Bankiers, das schon die Nazis benutzten: „Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel / Der Schmock ist’n Fuchs, und ihr seid nur Trottel.“ Sänger Xavier Naidoo hatte eine Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung verklagt, weil sie ihn im Rahmen einer Veranstaltung einen Antisemiten genannt hatte.

Naidoo

Der Vorwurf selbst wurde ihr vor Gericht weniger zum Verhängnis als die Begründung, die sie ergänzt hatte: „Das ist strukturell nachweisbar.“ Die Regensburger Richterin begründete ihr Urteil damit, dass die Frau ebendiesen Nachweis für ihre Behauptung, Naidoo sei Antisemit, nicht ausreichend habe erbringen können, wohingegen jener sich glaubhaft distanziert habe. Schlussendlich wögen seine Persönlichkeitsrechte schwerer als das Recht auf Meinungsfreiheit.

Tja nun. Welche offensichtlicheren Belege der Richterin da so vorschweben, daran möchte man lieber nicht denken. Weitaus erbaulicher ist die Aussage von Naidoo selbst, also jene sogenannte Distanzierung, die im Wesentlichen auf folgender Argumentation beruht: Er könne gar kein Antisemit sein, denn er setze sich gegen Rassismus ein, und außerdem trage sein Kind einen he­bräi­schen Namen. Des Weiteren habe er gar nicht gewusst, was er da für Stereotype verwendet hätte: „Ich benutze keine Chiffren, sondern sage Dinge so, wie sie mir beim Texten einfallen“, zitiert ihn der Bayerische Rundfunk.

Chiffre

Sie kennen das, oder? Man summt so unter der Dusche vor sich hin, fügt willkürlich ein paar Wortfetzen zu der Melodie, und plötzlich hat man den neuen Hit der rechten Szene geschrieben. Upsi! Aber Spaß beiseite: Die Logik à la: „Ich engagiere mich gegen Fremdenfeindlichkeit, also kann ich kein Judenfeind sein“, hinkt ziemlich. Von jemandem, der laut eigener Aussage aktiv gegen Rassismus ist, sollte man doch gerade denken, dass er sprachlich auch in dieser Hinsicht sensibilisiert sei. Oder? Naidoos Begründungen und vor allem die Tatsache, dass sie maßgeblich zu seiner Entlastung führten – zur Erinnerung: Die Richterin führte an, der Sänger habe sich glaubhaft von der Verwendung antisemitischer Ressentiments und Codewörter in seinen Texten distanziert, weshalb der Vorwurf zu unterlassen sei –, sind jedenfalls beängstigend, insbesondere in Zeiten, da junge Männer wegen Kippa oder Davidsternkettchen um den Hals auf offener Straße krankenhausreif geschlagen werden.

Rabenaas

Wenn der Sänger die Wahrheit sagt und diese Zeilen ihm wirklich unverdächtig erschienen, wie sieht es dann erst mit den vielen Fans aus? Das Gefährliche am Antisemitismus ist (und war!) ja, dass er sich einschleicht in die Köpfe, bis er auch in den Herzen angekommen ist und gar nicht mehr auffällt. Wären Kollegah und Farid Bang nicht beim Echo aufgetreten – wer weiß, ob überhaupt jemand mitbekommen hätte, was sie da so rappen („Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“). Kann man zukünftig jedenfalls alles weiterhin machen – mit der wohligen Gewissheit, dafür nicht belangt zu werden. Im Gegenteil. Denn auch das hier gehörte zur Begründung des Gerichts: Ob die Texte nun antisemitisch seien oder nicht, habe man ja gar nicht beurteilt – die ­Distanzierung eben sei glaubwürdig ­gewesen. Ach ja, das war eine schrecklich graue Woche. Zumal auch noch Christine Nöstlinger zu betrauern war, dank derer ich schon als mittelkleines Kind besser auf Österreichisch schimpfen konnte denn auf Hochdeutsch („Du Rabenaas!“). Schön war wiederum, dass den Nachruf auf die große österreichische Kinderbuchautorin bei Spiegel Online der neue Stern am Himmel der deutschsprachigen Literaturkritik schrieb: Martin Schulz, früher mal Kanzlerkandidat und noch früher Buchhändler. „Danke, Christine. Und nun: ‚Maikäfer, flieg‘.“ Hach.

Klatsche

Ob uns jetzt eine Neuauflage des Westernklassikers „Martin gegen Sigmar – High Noon vorm Willy-Brandt-Haus“ bevorsteht? Schließlich hat es sich im journalistischen Berufsfeld schon Gabriel bequem gemacht – als Autor für die Holtzbrinck-Verlagsgruppe. Vielleicht könnten die beiden stattdessen Frieden schließen und endlich auf Phoenix das gemeinsame Politdiskussionsformat „Schulz und Gabriel“ starten. Denn mal ehrlich: Das Spannendste an „Augstein und Blome“ ist doch, wer von beiden genervter gucken kann.

Wem das alles zu politisch ist, der sollte sich den 25. Juli vormerken. Da jährt sich zum 65. Mal die Patentanmeldung der Fliegenklatsche aus Plastik, die, so meldet dpa (65 Zeilen – mit aktuellem Foto!), Erich Schumm aus dem württembergischen Murrhardt erfand. Wenigstens auf das Sommerloch ist auch 2018 Verlass.

Nächste Woche Nina Apin

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