der rote faden: Männer, die auf schwindende Horizonte starren
Durch die Woche mit Klaus Raab
Der ehemalige englische Fußballspieler Gary Lineker hat das Selbstverständnis der Deutschen einmal treffend beschrieben: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen.“ Dann aber gewann Chelsea London ein Finale gegen Bayern München, und das auch noch im Elfmeterschießen, das die Engländer nie konnten. Und Lineker nahm seinen Satz zurück. Er twitterte: „But not any more.“ – „Jetzt nicht mehr.“
Lineker, dieser Teufelskerl: Er hat eine längerfristige Entwicklung in zwei Sätzen zusammengefasst.
Früher machten Autos in Deutschland einfach schön brummbrumm, und Kopftücher waren für ältere Feldarbeiterinnen reserviert. Heute weiß man nicht mehr, ob man morgen mit seiner Karre noch in die Innenstadt darf. Und welche Rolle Kopftücher in der Debatte darüber spielen, was angeblich deutsch ist, ist bekannt. Früher bildete sich jeder Büroangestellte was auf die deutsche Ingenieurskunst ein, „made in Germany“, supergeil. Heute kriegt der Deutsche keinen Flughafen mehr gebaut, und wenn er einen echten Handwerker zu Hilfe rufen will, etwa aus Polen, dann hat er mal wieder keinen Handyempfang. Die beruhigenden „Horizonte der Verlässlichkeit“, wie sie der Soziologe Thomas Druyen nennt, sind abhandengekommen.
In diesem Zusammenhang kann man wohl auch den jüngsten Text von Jens Jessen lesen. Er behauptet in der Zeit, in der #MeToo-Debatte gehe es nicht „um die Gleichberechtigung der Frauen, sondern um den ideologischen Triumph des totalitären Feminismus“. Ich darf das vielleicht mal für Männer übersetzen, die früher morgens wichtig zur Arbeit gingen und samstags das Auto wuschen: Jessen sagt, die Weiber wollen nicht nur die Hälfte vom Kuchen, die wollen jetzt auch noch, dass wir ihn backen.
Der Punkt ist: Man könnte ja diskutieren. Wenn Jessen Männer „unter Generalverdacht“ sieht, dann bewegt sich das durchaus in Richtung Analyse zumindest einer feministischen Strömung: Die Ansicht, dass jeder Mann als Träger des Tätergeschlechts und damit als potenzieller Täter betrachtet werden sollte, begegnete einem jüngst ja tatsächlich immer wieder einmal. Sie ist essenzialistisch und mindestens diskutabel.
Das Problem ist aber, dass das Ganze in einem Tonfall vorgetragen wird, der jede Diskussion nahezu verunmöglicht. Es ist von einem „rhetorischen Hexenlabyrinth“, vom „Schema des bolschewistischen Schauprozesses“, von einem „feministischen Volkssturm“ und einem „Zusammentreiben und Einsperren aller Männer ins Lager der moralisch Minderwertigen“ die Rede. Wer, der nur diese Begriffe liest, käme darauf, dass hier unsere Wirklichkeit beschrieben sein soll und nicht etwa der Science-Fiction-Film „Emma, der Folterplanet“?
Nora Gomringer scheint diese Attitüde langsam zu reichen. Die Tochter des Lyrikers, dessen Gedicht „avenidas“ von der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule entfernt werden soll, nachdem es Studierende als sexistisch kritisiert haben, hat sich stets gegen die Entfernung eingesetzt. Nun aber ergriff sie Partei „für die Leute vom Asta“. Auch wenn sie inhaltlich nicht mit ihnen übereinstimme, schrieb sie bei Facebook, müsse sie diese doch vor dem „Sturm des Grolls“ schützen. Über „Jungfrauen“, die Gewalt verdient hätten, würden sich die Leute (laut Gomringer Männer) auskotzen. Von „übergeschnappten Studentinnen“ ist die Rede, die „in geifernder Weise unsere Kulturgesellschaft okkupieren“.
Es gehe ihr, schrieb Nora Gomringer, „um Würde für die Leute vom Asta und für den Umgang mit Künstlern und Werken“. Tatsächlich: um beides.
Und ist das nicht der Punkt – dass das geht? Dass Argumente, auch wenn sie einander widersprechen, gleichermaßen gültig sein können?
Was also ist los mit den Leuten? Sie beschweren sich darüber, dass irgendwelche emanzipatorisch angelegten Bewegungen irgendwas verändern wollen, legen vielleicht sogar zufällig einen Finger auf einen neuralgischen Punkt, an dem es tatsächlich klemmt. Aber dann drücken sie ihren Beharrungswunsch in einem Sound aus, bei dem man nur sagen kann: Okay, es stimmt – Männer sind Deppen.
Vielleicht würde es helfen, mal ein Buch zu lesen, zum Beispiel eines der bekannten US-amerikanischen Feministin Rebecca Solnit. Zu empfehlen ist etwa ihr Lob der gedanklichen Differenziertheit von Virginia Woolf: „Die Sprache der kühnen Behauptung ist einfacher, weniger anstrengend als die Sprache der Nuancierung, der Ambiguität, der Spekulation.“
Aber die lesen ja nicht mehr, diese Zeitungsfeuilletonisten und Verteidiger der Lyrik. Armes, armes Deutschland.
Nächste Woche Nina Apin
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