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der rote faden Wahlkampf oder Steuergeld für Ausländer?

nächste wocheNina Apin Foto: Helena Wimmer

durch die woche mit

Robert Misik

Es ist ja jetzt Wahlkampf, und zwar hier in Deutschland genauso wie bei mir daheim in Österreich. Und, klar, diese Wahlkämpfe unterscheiden sich signifikant. Hier bei euch gibt es grosso modo einen noch immer intakten Konsens der demokratischen Parteien, gerade die CDU präsentiert sich nicht gerade als rechte Scharfmacherpartei, und die Rechtspopulisten sind schwach, auch wenn sie den Einzug in den Bundestag wohl schaffen werden. Aber sie bestimmen nicht den Diskurs.

FPÖ

In Österreich ist das politische System seit Jahren nach rechts gerutscht, und mittlerweile ist es so, dass die politischen Botschaften der Christdemokraten von denen der rechtspopulistischen FPÖ kaum mehr zu unterscheiden sind. In Wirklichkeit hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz die FPÖ an vielen Stellen längst rechts überholt, was das Satireportal Die Tagespresse dazu verleitete, der FPÖ ein richtig „ehrliches Wahlplakat“ vorzuschlagen: „Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen – Strache statt Kurz wählen“.

Und so kann man jetzt schon, knapp eineinhalb Monate vor der Wahl, ziemlich klar voraussagen, wie die Wahlkampagne weitergehen wird: Die Sozialdemokraten setzen auf einen linken Gerechtigkeitswahlkampf, der, soweit das für eine Regierungspartei geht, bei Sanders und Corbyn Anleihen nimmt, während sich die ÖVP und die FPÖ mit einer anderen Spielart des „Gerechtigkeitsthemas“ überbieten werden. „Unser Geld für unsere Leute“, Sozialleistungen für Zuwanderer kürzen und so weiter.

Natürlich nicht allein: Die „kulturalistische“ Seite des Anti-Ausländer-Themas wird selbstverständlich eine wichtige Rolle spielen, also die Botschaft, dass „die“, also die Muslime, einfach nicht zu uns passen – und der Kampf gegen den „politischen Islam“. Aber die xenophobe Wendung des Gerechtigkeitsthemas wird eine Schlüsselbotschaft sein.

Islamophobie

Jetzt kann man natürlich einwenden, dass schon der Begriff „Gerechtigkeitsthema“ in diesem Zusammenhang ein Euphemismus ist – schließlich ist die Botschaft ja, dass einer bestimmten Bevölkerungsgruppe der Geldhahn abgedreht werden soll.

Aber wir tun auch gut daran, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und zu verstehen, dass es durchaus komplexe Gerechtigkeitsvorstellungen in der realen Welt gibt und dass die auch von Menschen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl geteilt werden.

Gerechtigkeit

Eine davon ist der Leistungsaspekt. Natürlich können wir sagen, eine vollständige Gleichverteilung, etwa bei Einkommen, wäre gerecht. Aber viele Menschen sehen diese gerade nicht als gerecht an, und damit sind nicht nur die Raffzähne von der FDP gemeint, die glauben, den obersten 5 Prozent stünden 100 Prozent aller Einkommen zu. Ein Facharbeiter, der in der Abendschule das Abitur nachholt und auch noch eine Technikausbildung macht, der betrachtet es als durchaus „gerecht“, mehr zu verdienen als der ungelernte Kollege. Mehr noch: Sogar der ungelernte Arbeiter betrachtet es als gerecht, dass der Kollege, der nächtens auch noch gepaukt hat, mehr verdient als er. Beide würden Gleichverteilung sogar als ungerecht ansehen.

Ein weiteres von diesen komplexeren Gerechtigkeitsprin­zipien ist der Aspekt der Reziprozität. Man steht als Gemeinschaft füreinander ein, man zahlt ein Leben lang Steuern und Sozialabgaben, und dafür stehen einem im Notfall auch Leistungen zu. Dieses Reziprozitätsdenken ist zentral in unseren Gerechtigkeitsgefühlen, nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Man sagt ja auch nicht: Behandle niemanden so, dass es deinen ethischen Überzeu­gungen widerspricht. Man sagt ja eher: Behandle jeden so, wie du auch behandelt werden willst – eine Begrifflichkeit, in der schon eine Gegenseitigkeit drinsteckt.

Sozialsysteme

Aber das ist eben ein offenes Scheunentor für rechtspopulistische Weltdeutungen, die eine gewisse Überzeugungskraft auch für Leute haben, die weder rassistisch noch sonderlich fies sein müssen: Indem man sagt, dass Zuwanderung zugleich „Zuwanderung in den Sozialstaat“ ist, aber Leute Leistungen in Anspruch nehmen, die nicht ins Reziprozitätsschema passen – sie haben hier noch nie Steuern gezahlt, noch nie ins Sozialsystem eingezahlt, sie sind nicht so richtig ins Netz des Wechselseitigen eingewoben.

Was ich sagen will: Es lohnt sich, das mit klaren Augen zu sehen. Es schadet nicht, zu verstehen, dass auch der rechtspopulistische Diskurs auf eigenen Gerechtigkeitsprinzipien basiert, die tendenziell auch von Menschen geteilt werden, die keine Anhänger des Rechtspopulismus sind.

Weil man sonst diesen Gefühlen und den Argumenten, die an sie andocken, sprachlos gegenübersteht.

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