der rote faden : Fluchtursachen bekämpfen,aber bitte richtig
durch die woche mit
Robert Misik
Martin Schulz hat das Thema Flüchtlinge in den Wahlkampf zurückgeholt. In Italien sind in diesem Jahr bisher rund 90.000 Bootsflüchtlinge aus Afrika angekommen. Das ist jetzt nicht der Massenansturm, wie uns eingeredet wird, aber es ist auch nicht nichts. Es ist eine Zahl, die für Italien ein Problem ist. Und besonders die betroffenen Regionen, von Lampedusa bis Sizilien, sind überfordert.
So weit, so klar. Und außerdem kommen diese Leute hier nur an, weil sie sich vorher in lebensgefährliche Schlauchboote gesetzt haben. Was heißt: Einige Tausende sterben, damit einige Zehntausende hier ankommen. Martin Schulz hat nun etwas sehr Richtiges gesagt: Wir dürfen in Europa Italien damit nicht allein lassen. Man müsste die Leute umverteilen. Das Dublin-System kann nicht funktionieren, wenn man auf die Länder der Peripherie alles ablädt und sagt, die sollen selbst sehen, wie sie damit zurande kommen.
Das Problem ist nur: Umverteilung der Boatpeople? Das wird nicht geschehen. Es gibt in den verschiedenen europäischen Öffentlichkeiten aus unterschiedlichen Gründen keine Mehrheiten dafür. Und außerdem würde es an der lebensgefährlichen Überfahrt nichts ändern.
Nun kann man sagen: Das hat mit xenophoben Regierungen zu tun, wie in Ungarn. Oder: Das hat mit strukturellem Solidaritätsmangel zu tun. Oder: Das hat mit xenophoben Öffentlichkeiten zu tun oder damit, dass die Leute durch die mediale Berichterstattung verhetzt sind.
Alles nicht ganz falsch. Aber es gibt vielleicht noch einen weiteren Grund, der so unsympathisch ist, dass er meist nicht erwähnt wird. Vielleicht ist ja den allermeisten Europäern klar, dass wir hier privilegiert leben. Dass wir auf Kosten der Welt leben. Und zwar alle: Dass nicht nur der Reichtum der Reichen, sondern auch der kleine Wohlstand der Unterschichten und der unteren Mittelschichten nicht zu halten wäre, würde so etwas wie Fairness in der Welt Einzug halten. Nehmen wir kurz an, dass ich mit dieser These nicht völlig unrecht habe. Dann sagen die Linken, deren Herz für alle Unterprivilegierten auf der Welt schlägt: „Wir wollen keine Festung Europa.“
Aber die einheimische Arbeiterklasse sagt: „Doch, wir wollen eine Festung Europa, weil wir davon profitieren, obwohl wir nicht reich sind, aber ohne Festung Europa müssten wir mit jenen teilen, die noch ärmer sind, und dann wäre auch das bisschen Wohlstand weg.“ Ein abwegiger Gedanke? Oder doch eher einer, der nicht abwegig ist, sondern nur so frustrierend, dass man ihn am besten nicht zulassen darf?
Nun gibt es, auch das wird uns immer wieder gesagt, unterschiedliche Fluchtgründe. Erstens: Krieg und Verfolgung. Zweitens: Die Hoffnung auf ein besseres Leben. Was meist unter den Tisch gekehrt wird, ist die Mischung aus beidem. Aus Afrika gehen auch Menschen weg, die keine ökonomischen Aussichten mehr sehen, auch, weil beispielsweise Böden, die unlängst noch irgendwie bewirtschaftbar waren, ausdörren. Und weil es auch in relativer Nähe keine ökonomischen Chancen gibt. Und daran sind wir nicht gerade unschuldig. Aber der Großteil der Menschen würde nicht weggehen, wenn sie irgendwelche Chancen auf Verbesserung ihrer ökonomischen Situation sähen. Das ist die Situation, und der Migrationsdruck aus Afrika zwingt uns nun, das nicht mehr länger zu ignorieren.
Der Wiener grüne Politiker Christoph Chorherr hat schon vor einigen Jahren dieses Problem gewälzt und einen Vorschlag gemacht: Kooperieren wir doch mit Städten in Afrika. Mit Städten, die eine gute geografische Lage haben, etwa an der Küste. Investieren wir hier, sorgen wir für Entwicklung, unterstützen wir sie beim Aufbau einer guten öffentlichen Verwaltung. Denn es sind immer Städte, die Motor des ökonomischen Fortschritts sind. Ich sage hier pointiert dazu: Machen wir sie zu einem neuen Hongkong oder neuen Schanghai, einem neuen Shenzen. Eine Chinesin aus den armen Gegenden Westchinas setzt sich in kein Schlauchboot, um nach Sizilien zu kommen – sie geht in die boomenden Metropolen an der Küste. Es gibt auch in Afrika genug stabile Regionen mit guter ökonomischer Basis, einem guten Bildungsniveau der Oberschicht, verantwortlichen politischen Eliten und so weiter. Boomregionen, in denen auch die Hoffnung wächst? Völlig unrealistisch ist das nicht. Unrealistisch ist nur: Nichts zu tun und zu hoffen, dass das alles schon irgendwie wieder aufhört.
Und was haben die EU-Außenminister unlängst beschlossen? Sie haben einen wichtigen Beschluss zur Bekämpfung von Fluchtursachen gefällt: Sie wollen den Export von Schlauchbooten nach Libyen verbieten.
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