der rote faden : Nicht meckern, sondern festnehmen: Von Bayern lernen
durch die woche mit
Daniel Schulz
Bayernblödfinden ist der Volkssport des Nordens. Ein öder Kick ohne Fantasie oder Finesse, ein Elfmeterschießen ohne Torwart, guck mal, was die strunzblöden Berghutzel jetzt schon wieder …höhöhöt der Humorpöbel.
Ja, ja, alles Nazis, sekundiert das Hirnprekariat. Vielleicht weil die im Süden vieles einfach besser draufhaben als wir in Berlin, Integration von Flüchtlingen zum Beispiel oder Fußballspielen oder Einwohnermeldeämter, die funktionieren oder dass der Grant quasi eine Art des Blues ist, während sie es in „der Hauptstadt“ nur schaffen, ein Gemecker irgendwo zwischen Ziege und Feueralarm von sich zu geben, dittisdoalletscheiße hierdiejanzescheißemitderscheißeunddennkommsehierherausihremjelecktenwestkaffundwollenbloßdassittwiedersoaussiehtwiebeisichaufmdorf.
Aber schweifen wir nicht ab.
Bayern. Blöd ist es ja dann, wenn da wirklich mal was blöd ist.
Am Mittwoch beschloss das Parlament in München, Menschen quasi unendlich lange in Haft nehmen zu können, die keine Straftat begangen haben, aber im Verdacht stehen, sie würden das gern. Bisher ging das 14 Tage lang, nun drei Monate und dann prüft ein Richter. Und danach kann es weitergehen: Der Bayrische Landtag hat eine Möglichkeit gefunden, seine Bürger ohne Gerichtsurteil für lange Zeit einsperren zu können.
Offiziell geht das gegen Terroristen, aber das verschärfte Gesetz ist faktisch für alle da. Bisher musste für die Haft wenigstens noch die Begehung einer Straftat konkret erkennbar sein, für die Zukunft hat die CSU die Kategorie „drohende Gefahr“ erschaffen. Oder um es mit den Worten von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann zu sagen: „Die effizienteste Abwehr von Gefahren ist doch, diese gar nicht entstehen zu lassen.“ Das habe man ja beim G20-Gipfel in Hamburg gesehen. Wenn Angela Merkel die Bundestagswahl gewinnt, will der Mann in Berlin Minister werden. Eine gute Zeit für Bayernwitze also.
Haha, wenigstens sperren sich die Zausel nun gegenseitig weg.
Abwarten. Die Sache mit den drei Monaten war schon Anfang des Jahres im Gespräch, nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Damals redeten Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) davon, jetzt müsse man ordentlich was machen, mit Maßnahmenpaket und so. Drei Monate Gefährderhaft sollte es geben. Da ging es noch um Menschen, die nicht aus Deutschland kommen und denen ihre Herkunftsländer für Abschiebungen keine Passersatzpapiere ausstellen. Damals sagte Joachim Herrmann schon, das sei ihm nicht genug.
Wann ist genug eigentlich genug?
Alle Politiker, die solche Maßnahmen wollen, sagen immer dazu, wir lebten in einem Rechtsstaat und der könne natürlich keine hundertprozentige Sicherheit garantieren. Sie müssen das sagen. Ein Staat, der alles versucht, um Gefahren zu verhindern, kann keine Demokratie sein. Aber wie weit lässt sich vordringen in die Zone hundertprozentiger Sicherheit, bevor es gefährlich wird für das, was man vorgeblich schützen will?
Wie finden wir es da, dass die CDU und die sich bei Gelegenheit als Bürgerrechtspartei verkleidende FDP in Nordrhein-Westfalen die Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder abschaffen will? Wenn ein Polizist eine Straftat begehen sollte, ist er nun schwerer zu identifizieren. Die Beamten sollten nicht unter Generalverdacht gestellt werden, sagen CDU und FDP. Weil sie erkennbar sind?
In Hamburg sagt derweil der Oberbürgermeister, er könne keine Polizeigewalt erkennen, obwohl Augenzeugen anderes sagen, Videos anderes zeigen. Kritik an Polizisten wird in Rechtfertigung linker Gewalt umgedeutet.
Während Justiz und Polizei mehr Macht bekommen sollen, werden sie gleichzeitig gegen Kritik immunisiert. In Hamburg hat die Polizei zum Beispiel die Lage im Schanzenviertel falsch eingeschätzt und eine falsche Strategie angewandt. In Berlin haben Polizisten versucht zu vertuschen, welche Fehler sie im Fall des Attentäters Anis Amri gemacht haben. Vulgärökonomisch gesagt sind das von Politik und Polizei verursachte Kosten, die auf uns alle umgelegt werden.
Wann ist genug also genug? Mag sein, dass so wenige diese Diskussion derzeit führen möchten, weil ringsherum weit Schlimmeres passiert.
In Polen schaffen die Regierenden die unabhängige Justiz ab. Und in der Türkei dreht der Präsident jede Woche ein bisschen mehr frei. Abfällige Witze über die Türkei und Polen machen sich fast so gut wie Witze über Bayern.
Lachen soll ja befreiend wirken.
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