der rote faden : Von sicheren Häfen und sprachlichen Nebelkerzen
durch die woche mit
Meike Laaff
Zu spät abgegeben, am Kernproblem vorbei: Wäre der Nachfolger für die Safe-Harbor-Regeln für den Datentransfer zwischen der EU und den USA eine Uni-Hausarbeit, dann wäre sie dem Verfasser sofort wieder vor die Füße geklatscht worden. Einen Tag nachdem die Übergangsfrist für den Austausch von Daten abgelaufen war, weil der Europäische Gerichtshof die alte Safe-Harbor-Regelung gekippt hatte, präsentierte die EU-Kommission ein paar hastig ausgehandelte Pünktchen, die alles wieder heile machen sollen. Und die – da ist sich die Mehrheit aller Beobachter schon fast beunruhigend einig – nichts taugen.
Das oberste Europäische Gericht kritisierte am alten Safe Harbor, dass US-Geheimdienste „generell auf Inhalte elektronischer Kommunikation“ zugreifen können. Das soll sich angeblich mit der neuen Einigung geändert haben – weil die USA zusicherte, dass es künftig keine „unterschiedslose Massenüberwachung von personenbezogenen Daten, die in die USA übertragen werden“, mehr geben solle. Wem das als feuchter Händedruck von US-Geheimdiensten noch nicht genügt, der wird weiter beruhigt: EU-Bürger dürfen sich mit Fragen und Beschwerden künftig an einen Obmudsmann wenden, der als Grüßonkel im US-Außenministerium sitzt.
Und als wäre das nicht genug Murks auf einmal, versucht man es mal wieder mit einer Umbenennung. Statt „Safe Harbor 2.0“ heißt das Ganze jetzt „Privacy Shield“. Damit das endgültig jeder rafft, präsentierte die EU-Kommission zwar noch keinen Text für die Vereinbarung mit den USA, dafür aber ein Logo. Ein Ritterschild, darauf jeweils die halbe US- und EU-Flagge. Was – und so etwas sage ich wahrlich nicht oft – aussieht, als hätte ich es in fünf Minuten zusammengefotoshoppt.
Sie wollen also offenbar nicht aussterben, die Versuche, der Öffentlichkeit den Mist von gestern einfach nochmal anzudrehen. Unter neuem Namen, der irgendwie positiver klingt. Und zu hoffen, dass es schon keiner merkt. Weswegen aus Vorratsdatenspeicherung Mindestspeicherfrist wurde. Weswegen man Lager für Geflohene, denen der Grenzübertritt verweigert wird, zu Transitzonen euphemisiert. Ganz zu schweigen von Abkürzungen von A wie Acta bis T wie TTIP, unter denen, zumindest in Digitalfragen, immer wieder versucht wird, denselben nutzerfeindlichen Unrat in Handelsabkommen zu gießen. Wer sich ratlos am Kopf kratzt und fragt, wie es eigentlich zu Demokratiefrust und dem schlechten Image von politischen Entscheidungsträgern kommen konnte – hier wäre sicher ein Ansatzpunkt zu finden.
Was an sich natürlich nichts Neues ist. Sondern George Orwell schon 1949 wusste und „Neusprech“ nannte – eine aus politischen Gründen künstlich modifizierte Sprache, die er in seiner Dystopie „1984“ beschreibt. Zugegeben, das ist als Referenz ganz schön abgegrabbelt und auch der Name eines tollen Blogs zum Thema rhetorischer Nebelkerzen in der Politik. Und lohnt dennoch immer wieder das Nachlesen – kritisierte Orwell doch schon da Politik durch Sprache – von oben vorgegebenes Rebranding von Begriffen, das die Kommunikation des Volkes in kontrollierte Bahnen lenken sollte.
Epic win durch Rebranding – den fuhr auch die Alphabet Inc. ein. Seit die nämlich nicht mehr Google heißt, konnte sie nochmal ordentlich an Börsenwert zulegen. Ohne ein nennenswertes neues Produkt, das fette Gewinne einfährt: selbstfahrende Autos, Lieferdrohnen, alles schön und gut. Richtig Geld verdient wird aber weiter mit Googles Suchmaschine und Werbung. Was bedeutet: So gut mir das jetzt argumentativ in den Kram prassen würde – an der Umbenennung des Konzerns liegt es eigentlich nicht. Sondern eher daran, dass Milliarden Menschen weltweit die neue Umbrella-Organisation fleißig weiter mit ihren Daten mästen – so dass die Firma fetter und rosiger dasteht als je zuvor.
Wobei nicht nur neue Namen helfen können, einen Ausweg aus verfahrenen kommunikativen Situationen zu finden. Auch ein Rollenwechsel kommt mitunter gut. So wie diese Woche bei der Pressekonferenz, auf der Facebook garniert mit allerlei Künstler-Tischdekoration seine Counterspeech-Strategie präsentieren wollte. Da wollte eine Facebook-Sprecherin mal wieder teflonmäßig eine unangenehme Journalistenfrage an sich abperlen lassen. Weil es um die Zahl der Mitarbeiter ging, die sich um deutsche Hasskommentare kümmern. Woraufhin die Künstler-Tischdeko und Rappersenior Smudo plötzlich begann nachzuhaken. Mit einer Mischung aus Überraschungsmoment, Penetranz und Prominenz, die die Facebook-Dame erst so richtig schlecht aussehen ließ.
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