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der rote faden Die Bundeskanzlerin und ihr adipöser Juniorpartner

durch die woche mit

René Hamann

Spätestens seit dem CDU-Parteitag steht fest, dass die bleischweren Kanzlerinnenjahre noch eine Legislaturperiode länger dauern werden. Angela Merkel hat es wieder geschafft, die eigenen Reihen geschlossen hinter sich zu scharen und die parteiinterne Opposition zum Schweigen zu bringen. Ob die sich jetzt nicht nur inhaltlich, sondern auch personell in Richtung AfD bewegen wird, muss sich zeigen. Ein Problem für Merkel ist das nicht, solange die Union stärker bleibt als ihr Juniorpartner.

Merkel

Der Juniorpartner hat kurz zuvor ebenfalls parteitagt und den rasenden Stillstand manifestiert, der sich bis 2020 fortsetzen wird. Die SPD hat sich damit abgefunden, die progressive Mitte den Grünen, die progressive Linke den Linken zu überlassen und im Politikbetrieb auch künftig die Rolle einer adipösen FDP zu spielen. Das gefällt Merkel gleich doppelt. Das bedeutet nämlich, dass eine Rückkehr der echten Altneoliberalen so schnell nicht stattfindet.

Was für Merkel spricht, ist der geschichtliche Moment: Die Flüchtlingskrise ist so etwas wie ihr persönlicher Oderbruch. Schröder lässt grüßen. Dass sie ausgerechnet an diesem Punkt die (scheinbar) helfende und richtungsweisende Hand ausstreckt, und das Obama-Motto „Yes, We Can“ zu „Das schaffen wir“ eindeutscht, hat ihr schon jetzt die nächsten vier Regierungsjahre gesichert. Die rechte Drecksarbeit machen eh die anderen – dafür sind Schäuble und de Maizière schließlich da.

Stillstand

Und in Stillstand, von wegen progressive Mitte, machen die anderen schließlich auch. Sowohl die Grünen, die in den Umfragen bei den 10 Prozent stagnieren, die sie verdienen, als auch die Linkspartei. Von der jugendlichen Verve und dem Es­prit der Podemos in Spanien sind sie jedenfalls weit entfernt.

Deutschland ist so gesehen tatsächlich die ruhende Mitte Europas, die es sich sogar erlauben kann, menschenfreundliche Politik zu machen, wenn auch nicht gegenüber linksregierten EU-Mitgliedstaaten, so doch wenigstens denen gegenüber, die es im Bombenhagel jenseits der türkischen Grenze einfach nicht mehr aushalten wollen. Problem könnte sein, dass Brüssel nicht Karlsruhe ist und Europa allmählich wie Kontinentalplatten langsam, aber unaufhaltsam in zwei verschiedene Richtungen driftet. Die osteuropäischen Staaten machen dicht, und auf der anderen Seite strebt das Vereinigte Königreich unter Cameron einer neuen „splendid isolation“ zu. Statt Solidarität und Verantwortung herrscht Eigensinn. Eine Sezession kann nicht mehr ausgeschlossen werden.

Erdoğan

Derweil werden in Erdoğans autoritär geführtem Transitstaat weitere Flüchtlinge geparkt. Die der türkische Despot jetzt und künftig prima als Faustpfand einsetzen kann. Solange sie überhaupt noch reingelassen werden, heißt das. Kann nämlich auch sein, dass syrische Bürgerkriegsflüchtlinge demnächst ein Visum brauchen. Was in etwa so ist, als ob – ach lassen wir das, es ist traurig genug.

Und sonst so? Gibt es noch irgendetwas Erfreuliches so kurz vor Weihnachten? Der neue „Star Wars“-Film? Das Trainerkarussell in England, dessen Fliehkräfte auch die Bundesliga erwischen wird? Oder vielleicht das: Die Deutsche Bahn fährt den Bahnhof Zukunft an. Mal sehen, wie pünktlich sie sein wird.

Deutsche Bahn

Pünktlichkeit, etwas, das anno dazumal als selbstverständlich galt, ist ja jetzt das neue Ziel. Neben Sauberkeit und Fahrgastinformation. WLAN für alle bleibt erst mal noch ein Traum, an dem allerdings gearbeitet wird. Erschwingliche Tickets stehen trotz aller Konkurrenz und gewissen ökologischen Notwendigkeiten leider nicht zur Diskussion.

Stattdessen soll gespart werden: am besten am Personal. 2.600 Stellen könnten gestrichen werden. Das wird wohl kaum die Innenausstatter und Klimatechnikingenieure betreffen, obwohl die nachweislich die größten Verbrechen am „Service“ der Bahn begangen haben. Dabei wäre es so schön, die Bahn wieder in Richtung Geschmack und Komfort zu bewegen: und nicht so eine seltsame Funktionsästhetik zu befolgen, die, wenn es darauf ankommt (im Hochsommer zum Beispiel), nicht einmal funktioniert. Da lassen sich nicht einmal die Fenster öffnen, wenn die Klimaanlage ausfällt, weil sie bei 30 Grad Celsius schon ihre Grenzen erreicht.

Wohin aber Stellenabbau und ähnliche Fehlplanung führen kann, sieht man sehr gut in Berlin. Die Stadt ist notorisch pleite. Gespart wird da, wo nicht gespart werden sollte, es sei denn, man hat einen sehr guten Plan: in der Verwaltung. Jetzt, wo sie richtig gefordert wird, Stichwort Lageso, geht alles drunter und drüber. Überforderung, auch absichtlich gewollte, ist hier fast noch ein Euphemismus.

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