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der rote faden Große Sehnsucht nachkleinen Gewissheiten

Durch die Woche mit

Daniel Schulz

MH370

Als würde Heinrich Schliemann Troja noch einmal ausgraben. Sie haben erst eine Flügelkappe gefunden, dann Teile eines Sitzes, eines Fensters. Die Archäologen sind nicht hundertprozentig sicher, aber es spricht viel dafür, dass die Fundstücke auf der Insel La Réunion zu jener Maschine gehören, die auf Flug MH370 am 8. März 2014 verschwand. 17 Monate sind 17 Jahrhunderte in einer Zeit, in der sich alles aufspüren lässt. Flug MH370 hatte sich schon ins Mysterium gewandelt, Stoff für abergläubisches Staunen in unserer Epoche der Aufklärung durch Satelliten, Drohnen, NSA.

Nicht die Menschen haben das Unerklärliche erklärt, sondern das Meer hat einfach die Teile wieder ausgespuckt. Aber diesen kleinen Schönheitsfehler übersprechen die Macher und Machthaber mit kernigen Sätzen: „Wir sind zuversichtlich, dass wir in der richtigen Gegend suchen, und wir werden das Flugzeug dort finden“, sprach Martin Dolan, Chef der australischen Flugsicherheitsbehörde, am Donnerstag im Radio. „Wir sind es den Familien der Vermissten schuldig, zu versuchen, dieses Rätsel zu lösen“, sagte Australiens Regierungschef Tony Abbott. „Wir sind es den Menschen schuldig, die Flug­reisen machen und sich in der Luft sicher fühlen wollen.“

Keine Ahnung, ob sich tatsächlich jemand im Flieger von Berlin nach Kiew oder von London nach Washington sicherer fühlt, wenn im Indischen Ozean ein Wrack zusammengepuzzelt wird. Aber Tony Abbott hat nur ausformuliert, was wir von unserer Vergangenheit erwarten. Erklärt soll sie sein, verständlich und damit tröstlich.

Robert Conquest

Am Montag ist der Historiker Robert Conquest gestorben, ein Brite, den Linke gehasst haben, weil er 1968 die Gräuel des stalinistischen Regimes in seinem Buch „Der große Terror“ schonungslos beschrieb; später auch den millionenfachen Mord des großen sowjetischen Führers an den Ukrainern durch ­Aushungern in seinem Werk „Die Ernte des Todes“. Aber diese Jahre, als oft nicht sicher war, ob am nächsten Tag eine Atombombe allem ein Ende machen würde, in denen in Vietnam, Korea, Angola, Nicaragua gekämpft wurde, sie erscheinen heute klar und wohlgeordnet. „Er wurde bekannt auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als die Welt noch überschaubar war“, das ist der erste Satz des Nachrufs auf Robert Conquest in der Frank­furter Allgemeinen Zeitung.

Chaos gibt es natürlich immer, aber das gegenwärtige ist stets das größte. Syrien, Libyen, Ägypten, Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, verkleidete Russen kämpfen im Donbass. Da kenne sich noch einer aus.

Johanna Quandt

Kein Wunder, dass wir Bezeichnungen wie „Mutti“ für eine Frau haben, die uns vor dem Übel beschützen soll; sie soll für eine vierte Amtszeit bereit sein. Ist die Frage, ob uns Angela Merkel reicht. Warum haben wir eigentlich keine Oma?

IS

Wir hatten eine, sie ist aber leider gestorben. Bescheiden, unprätentiös, sie ging auch manchmal selbst einkaufen, brauchte den Rummel nicht, den andere Große um sich fa­bri­zie­ren lassen, und als ein Forscher die Nazivergangenheit des geliebten Ehemanns recher­chier­te, lud sie ihn zum Kaffee ein. Liest man die Nachrufe auf Johanna Quandt, wünscht man sich, auch mal von seinem Mann den BMW-Konzern vererbt zu bekommen, nicht wegen des Geldes, sondern weil man dann so ein guter Mensch würde.

Damit sei nichts über die moralischen Qualitäten von Johanna Quandt gesagt, es gab nie ein gemeinsames Kaffeetrinken, und daraus resultiert ein Mangel an intimer Kenntnis. Es mag mir nur als in der DDR Geborener auffallen, mit welch rührender Wehmut die KollegInnen jenen nachtrauern, die noch die alte Bundesrepublik mit ihren Gewissheiten verkörperten. Durch ihre Texte weht eine Brise Sehnsucht nach diesem Damals, als den Deutschen die Rolle der bescheidenen, unprätentiösen Reichen zugedacht war, die sich am Getriebe der Welt nicht zu beteiligen hatten. Dafür gab es schließlich diese lauten Amerikaner. Es war alles so übersichtlich.

Dieses Gefühl kann man allerdings auch heute spüren, man müsste nur länger verreisen. In dieser Woche ruft ein dicklicher Österreicher in einem Video dazu auf, nach Syrien zu kommen: „Worauf wartet ihr denn noch? Guten Morgen, es ist schon Mittag!“ Und: „Eilt, eilt, bevor der Zug abfährt!“ Dann erschießen er und ein Deutscher zwei gefesselte Gefangene, es soll der erste komplett in Deutsch erschienene Film des Islamischen Staates sein. Der flehende Gestus des Österreichers, die geistige Abwesenheit des Deutschen, so sieht Verzweiflung aus. Aber sie wissen, wo das Gute anfängt und das Böse aufhört, in ihrer Welt existiert keine Unordnung. Tröstlich, diese Gewissheit.

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