piwik no script img

der herr der nasenringe

von WIGLAF DROSTE

Die PR-Maschinerie lief seit Wochen mit Quälfaktor 1.000. „Der große Weihnachtsfilm“, „Das Ereignis für die ganze Familie“ wurde einem um die Omme gedroschen, dass man sich schon einen Zauberhelm wünschte, der die Penetrationsversuche reflektiert und auf die Angreifer zurückgelenkt hätte. Es müsste ein sehr guter Kopfschutz sein: Eine Begegnung mit der Werbung für die Neuverfilmung von Tolkiens „Der Herr der Ringe“ war so unausweichlich wie sonst nur der Tod.

Eine echte Piesackerei ersann auch die Betriebsleitung des Cinemaxx-Kinos in Stuttgart, deren Anweisung an ihre Angestellten ich hier im Original zitiere: „Liebe MitarbeiterInnen“ – hui, Überraschung, das große Binnen-I, einst Insignium alternativer Sprachverwarzung, hier ist es gelandet, im Cinemaxx Stuttgart: „Liebe MitarbeiterInnen, passend zu ‚Herr der Ringe‘ werden wir mit einem Piercingstudio, Genial Bodypiercing in der Breitscheitstr., kooperieren. Bitte geben Sie zu den Karten zu HdR je einen Gutschein über DM 20 von Genial Bodypiercing aus. Natürlich geben Sie diese Gutscheine auch nur an potentielle Kunden / Zielgruppe für Piercings aus, was bedeutet, dass Minderjährige, ältere Menschen usw. keinen Gutschein erhalten werden. Bitte setzen Sie hier Menschenkenntnis und Ihren gesunden Menschenverstand ein. Bei Fragen, fragen! Mit freundlichen Grüssen Thorsten Leyrer“.

Glück für J. R. R. Tolkien, dass ihn – „Bei Fragen, fragen!“ – kein Cinemaxx-Menschenkenner mehr von der Seite anhauen kann, wie ihm das gefiele: „Der Herr der Ringe“ nun als Herr der Nasen- und, au-er!, der Nippelringe. Tolkien schrieb das Buch in großen Teilen für seinen Sohn, der gegen Nazisoldaten kämpfte – ein Hobbit, klein und vielleicht ein leichtes Opfer für die übermächtigen Schwarzen Reiter der SS, dennoch unterwegs gegen Mordor, Hitlers Reich des Absoluten Bösen. Das überging ins Reich des banalen Blöden, in dem Tolkien und „Genial Bodypiercing“ ganz „passend kooperieren“, wie der Hausstammler des Kettenkinos fantasiert. So führt der „gesunde Menschenverstand“ geradewegs in die Umnachtung. „Wir leben in einer Zeit nachgeplapperter Kritik und vorgekauter literarischer Urteile“, schrieb der Sprachwissenschaftler Tolkien 1940 in einem Aufsatz zu einer Übersetzung des „Beowulf“-Epos. Der Kundschaft, die heute in die Verfilmung des Tolkien-Stoffes dackelt, traut die Cinemaxx-Geschäftsleitung eher starkes Interesse daran zu, möglichst flächendeckend gesichtsgetackert und intimgenietet durchs Restleben zu klöddern.

Wie Tolkien winkt auch mir die Gnade der frühen Geburt. Mit 40 gelte ich im Cinemaxx-Kino längst nicht mehr als „potentieller Kunde / Zielgruppe für Piercings“, sondern als „älterer Mensch usw.“ und erhalte keinen Gutschein. Puuh: eine Last weniger, vielen Dank. Eins aber möchte ich doch wissen: Wie weit beziehungsweise wie tief kommt man bei Genial Bodypiercing mit einem Gutschein über 20 Mark? Einmal ganz durch? Oder muss man pro Hautschicht und Millimeter nachblechen? Mögen Jüngere es erforschen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen