piwik no script img

Archiv-Artikel

denen dere sorgen möcht ich haben von FANNY MÜLLER

Auf die Schweiz lass ich nichts kommen – immerhin habe ich dort auf einen Schlag so viele Leserbriefe gekriegt wie noch nie. Es wurde sogar von Lesern für mich gebetet. Weil ich eine Männerhasserin bin. Das ist nun wirklich nicht wahr: Immerhin sind einige meiner besten Freundinnen Männer!

Anlass war damals die Ballonfahrt des Herrn Picard um die Erde, die ich aufs Korn genommen hatte. Wie das so meine Art ist, kamen darin die Ballonfahrer vor, aber auch „der Stecher der Monacoschlampe“ und die strenge helvetische Sauberkeit.

Der „Stecher“ stach offenbar direkt ins Auge der Leserbriefschreiber und bescherte mir Ausdrücke wie „gestört, krank, ordinär, frustriert …“ und „Fäkalsprache“. Der Stecher aber gehört, wenn überhaupt, zur Genitalsprache. An dieser Verwechslung hätte auch Freud sicher a Freud g’habt. „Die pathologische Psyche ist in ihren Einfällen unerschöpflich“, sagte mir eine befreundete Psychoanalytikerin. Ist sie nicht. Sie wiederholt sich nur.

Übrigens schrieben diese Menschen ihre Briefe keinesfalls anonym. Nein, nein, alles mit voller Anschrift, sogar mit Beruf und E-Mail-Adresse. Heinrich M. aus 8104 Weiningen hielt sich kurz: „Mit diesem Text hat die Redaktionsschlampe am Dienstpult statt zu redigieren sich wohl selbst befriedigt.“ Was um des Himmels Willen ist ein Dienstpult?? Ich kenne bloß die Besetzungscouch.

Was Leser von einer Glosse erwarten, ist mir bekannt: Feinsinnig verschnarchtes Geschwafel über irgendeinen Blödsinn, womöglich noch mit einem Klassiker-Zitat versehen. Zum kalte Füße kriegen. Aber geschmackvoll, bis man einem Gähnkrampf erlegen ist.

Warum im Übrigen niemand auf meine Unterstellung eingegangen ist, dass man in der Schweiz die Küchenfußböden bohnere, ist mir ein Rätsel. Sollte das etwa die Wahrheit sein? Die bittere Wahrheit? Und sollte das etwa als Kompliment aufgefasst worden sein?

Der Ballonfahrer endlich brachte mir den Vorwurf der „Nestbeschmutzung“ ein („Denen dere Sorgen möcht ich haben!“ Sönke J., Alltagsphilosoph), aber es war ja ein fremdes Nest, und da darf man’s doch – oder? Und weiterhin stellte man fest, dass ich bloß neidisch sei. Wenn der Picard aus Hamburg wäre oder mindestens aus dem „Grossen Kanton“, dann … Na ja, wo so ein Depp herkommt, ist mir ziemlich schnurz. Und außerdem war mir dessen Nationalität verborgen geblieben. Zunächst war ich aber doch irritiert, als es hieß: „Es muss bitter schmecken, wenn der Neid so am Ego frisst“ (Leserbrief Victor G.). Da ich normalerweise eine Debatte über die Weihnachtsgratifikation von Schneckenzüchtern aufregender finde, hatte ich die mir von der Redaktion zugeschickten Zeitungsartikel eher flüchtig gelesen: Ich hielt Picard für einen Franzosen …

Humor ist so eine Sache. Entweder man hat oder man hat nicht. Die meisten Leute haben nicht. C’est la vie, wie wir alten Damen in Norddeutschland zu sagen pflegen. Und, ganz klar, im Großen Kanton kapiert man Satire auch nur dann, wenn „Alles bloß Spaß“ drübersteht. Und auch dann nicht immer.