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debatteDie Resilienz der Frauen

Der feministische Backlash ist in vollem Gange. Doch Frauen sind keine wehrlosen Wesen, die sich in die Vergangenheit zurückkatapultieren lassen

Frauen dürfen in der Bundesrepublik wählen und gewählt werden, sie können studieren, sie gehen arbeiten. Sie bekommen Kinder oder keine, sie heiraten, lassen sich scheiden, lieben Frauen und können ihr Geschlecht wechseln. Sie treiben ab, haben eigene Konten, man findet sie in Chefetagen. Gewissheiten wie diese stellt hierzulande längst niemand infrage. Und doch wird viel über den drohenden Backlash feministischer Errungenschaften debattiert.

So droht die geplante Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu scheitern, jeden zweiten Tag wird eine Frau ermordet, weil sie eine Frau ist, mehr Plätze in Frauenhäusern gibt es trotzdem nicht. Es gibt vermehrt Angriffe gegen Transpersonen, und in Ländern wie Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Schleswig-Holstein ist das Gendern an Schulen, Hochschulen oder in Behörden verboten oder ein Verbot angekündigt. Friedrich Merz hat angekündigt, im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl sein Kabinett nicht zwingend paritätisch zu besetzen. Denn Frauen seien nicht so selbstbewusst wie Männer – und mit hohen Regierungsämtern täte man ihnen keinen Gefallen. Und wenn die AfD-Männer tönen, dass Feminismus „Krebs“ sei, weil er Weiblichkeit zerstöre und Kinder verhindere, ist klar: Der Antifeminismus ist salonfähig geworden. Das alles klingt dramatisch. Und ja, es ist dramatisch. Doch je öfter diese Dramatik heraufbeschworen, je stärker betont wird, wie schicksalhaft die kommenden Jahre für Frauen und vulnerable Gruppen werden könnten, desto stärker spricht man ihnen Stärke und Kampfgeist ab und stellt sie als wehrlose Wesen dar. Und das ist dramatischer. Denn Frauen lassen sich 2025 nicht mehr zurückkatapultieren in eine Zeit mit einem Geschlechterbild, das sie vor allem bei den Kindern und in der Küche verortet und von Männern abhängig macht, vor allem finanziell. Einen Rückwärtsgang in die 1980er Jahre macht eine große Mehrheit der Frauen nicht mit. Wie stark Rechtspopulisten das auch noch forcieren mögen. Und sie haben die Rechnung ohne die Frauen gemacht.

Foto: Barbara Dietl

Simone Schmollack

leitet dasMeinungs­ressort der taz und war früher auch mal Gender-Redakteurin der taz.

Allein die Berufstätigkeit: Immer mehr Frauen sind erwerbstätig. Laut Statistischem Bundesamt stieg der Anteil berufstätiger Frauen von 1997 bis 2023 von 58 auf knapp 75 Prozent. Das ist so hoch wie selten in Europa, davon lassen sich die meisten Frauen auch nicht mehr abbringen. Berufstätige Partnerinnen treffen im Übrigen auch auf den Anspruch der Männer, die längst nicht mehr allein für das Familien­einkommen sorgen wollen. Junge Familien setzen längst nicht mehr auf die Einverdiener- oder Zuverdienerbeziehung, sondern auf eine egalitäre Verteilung des Familienunterhalts und der Care-Arbeit – wenngleich die immer noch ungleich verteilt ist, zu Ungunsten der Frauen.

Dass der Gleichheitsanspruch nicht immer umgesetzt werden kann, liegt unter anderem an fehlenden Kitaplätzen und der Tatsache, dass Mütter, die nach der Elternzeit in den Job zurückkehren, häufig auf Teilzeitstellen hängen bleiben. Die Hälfte der berufstätigen Frauen arbeitet in Teilzeit, viele Frauen würde jedoch gern mehr arbeiten, selbst Mütter mit kleinen Kindern. Die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit ist zudem dem Umstand geschuldet, dass in nicht wenigen Unternehmen mehr als die üblichen zwei Vätermonate nicht gern gesehen werden.

Frauen sind nicht, wie Merz proklamiert, grundsätzlich weniger selbstbewusst als Männer, im Gegenteil: Immer mehr Frauen werden Chefinnen, in Politik und Wirtschaft ebenso wie in der Kultur, in den Medien, der Wissenschaft. Ende 2023 waren 18 Prozent der Vorstände in den 200 umsatzstärksten Unternehmen weiblich, bei den Aufsichtsräten lag der Frauenanteil bei 32 Prozent. Ja, Männer dominieren bei den Topjobs noch immer, aber in einem anderen Verhältnis als vor 20 Jahren. Damals saßen Anzugträger am Tisch und trafen Entscheidungen, während Frauen im Vorzimmer die Akten sortierten. In den vergangenen 35 Jahren haben Frauen enorm viel erreicht. Die meisten Unternehmen haben längst verstanden, dass sie Frauen nicht nur als Arbeitskräfte brauchen, sondern auch als Diversitätsfaktor: Gemischte Teams bringen bessere Ergebnisse – ein mittlerweile alter Hut. Auch der Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, ist von einst 23 auf 18 Prozent geschrumpft. Das ist immer noch ungerecht, denn Frauen und Männer in gleichen Jobs haben dasselbe zu verdienen, Punkt. Aber es tut sich eben was.

Je dramatischer die Lage für Frauen beschrieben wird, desto stärker stellt man Frauen als wehrlose Wesen dar

Frauen sind in allen gesellschaftlichen Bereichen sichtbarer und erfolgreicher geworden, mit dem einen prominenten Ergebnis der 16-jährigen Kanzlerschaft der Ostdeutschen Angela Merkel. Vielleicht lässt es sich so zuspitzen: Frauen zeigen enorme Resilienz, wenn es darum geht, das eigene Leben (und das ihrer Kinder) vor einem Rollback zu schützen. Der Antifeminismus heute verdeutlicht, wie stark die feministische Bewegung in den vergangenen Jahrzehnten geworden ist – bis hin zu dem Phänomen, dass selbst in rechtspopulistischen Parteien Frauen das Sagen haben: Giorgia Meloni in Italien, Marine Le Pen in Frankreich, Alice Weidel in Deutschland.

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Das klingt nach einem Paradox, ist aber ein Klassiker: Auf jede erfolgreiche Bewegung folgt eine Gegenbewegung. Beim Backlash mit einer Besonderheit: zu den antifeministischen Männern gesellen sich Frauen, die von dem feministischen Anspruch – jede Frau sollte so leben können, wie sie will – profitieren: die Tradwifes, die traditionellen Hausfrauen. Das hat einen doppelten Boden: Sie verraten den Feminismus und müssen zugleich die Konsequenzen für ihr auf Abhängigkeit aufgebautes Lebensmodell tragen, sollte das schiefgehen. Tradwifes sind eine Form männlicher Identitätspolitik. Die bislang nur eine weibliche Minderheit anspricht. Das zeigen die Demos für Demokratie und gegen Rechtsruck in den vergangenen Wochen, darunter eine Großdemo von Feministinnen in Berlin mit mehreren tausend Menschen.

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