debatte: die zukunft der grünen partei in nrw : Die Perspektive der Grünen: moderne Partei der Linken
Grüne können den Anspruch untermauern, die moderne, linke Partei in Deutschland zu sein. SPD und PDS sind gescheitert
Die Grünen sind die erste Partei der Globalisierung. Ihre Programmatik leitet sich ab aus den in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erstmals deutlich sichtbar gewordenen globalen ökologischen Folgen der Industrialisierung. Klimaveränderungen, Luft-, Wasser- und Bodenverseuchung, die Endlichkeit der Ressourcen können nur global gesehen werden und begründen die Forderung nach einem Umsteuern zu nachhaltiger Entwicklung. „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern nur geborgt“ – als breite internationale Bewegung haben die Grünen das politisch bis auf die kommunale Ebene durchbuchstabiert.
Eine wichtige politische Leistung der Grünen als Partei besteht darin, dass sie diese globalen Fragen des Überlebens der Gattung Menschheit programmatisch immer konkreter mit den sozialen und politischen Interessen der „neuen Mittelklassen“ moderner Industriegesellschaften verbunden haben.
Es ist schwierig geworden, über die offensichtlichen Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen und ihre politischen Folgen nüchtern zu diskutieren. Durch das ideologische Gerede von „der neuen Mitte und ihrem drittem Weg“ (Sozialdemokraten) und von „Volksparteien neuen Typs“ (FDP) im Zusammenhang mit dem inzwischen zerplatzten Boom der „New Economy“ steht inzwischen jede politische Bezugnahme auf die Interessen der neuen Mittelklassen unter dem Verdacht des Neoliberalismus. Dabei hat das vorübergehende Phänomen der “Yuppies der New Economy“ mit der grundlegenden Veränderung unserer Gesellschaftsstruktur nur wenig zu tun. Noch vor dreißig Jahren waren vierzig bis fünfzig Prozent der Arbeitskräfte in den Industrieländern einfache Lohnarbeiter im Bereich der industriellen Produktion. Inzwischen ist ihr Anteil in den meisten Ländern auf unter zwanzig Prozent gesunken. Die Anforderungen von High-Tech-Produktion und der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft haben die Unterschiede zwischen Facharbeiter- und Angestelltentätigkeiten immer mehr verwischt. Die Bildungsreformen bis Mitte der 1970er Jahre haben darüber hinaus hier enorm viel verändert.
Die neuen Mittelklassen bestehen im Kern aus lohnabhängigen Berufen mit hoher Bildungs- oder Ausbildungsqualifikation. Die Spreizung der Einkommensverhältnisse ist groß: von den Pflegeberufen im Gesundheitswesen über Betreuungs- und Lehrberufe im Bildungsbereich, Verwaltungsberufe, technische und betriebswirtschaftliche Berufe. Ergänzt wird dies durch die Gruppen neuer Selbstständiger, oft in ganz ungesicherten Verhältnissen agierender „Kleinstunternehmer“ die parallel in den genannten Bereichen und darüber hinaus entstanden sind. In diesen Schichten verbinden sich widersprüchliche Interessen, etwa nach einem hohen Maß an kollektiver sozialer Absicherung bei gleichzeitigem flexiblen Zuschnitt auf individuelle „Erwerbsbiographien“. Der schnelle soziale Absturz in das untere, praktisch ausgegrenzte Drittel einer Zweidrittel-Gesellschaft steht für die meisten als Gefahr im Raum. Dies alles führt dazu, dass in diesen Milieus eine politische Grundeinstellung dominiert, die sich als linke Mitte sieht, offen für Neuerungen, ökologisch bewusst und der gesellschaftlichen Solidarität verpflichtet.
Diese neuen Mittelklassen wachsen in der „Dienstleistungsgesellschaft“ weiter stark an und sind bedeutender als die klassische Industriearbeiterschaft oder die klassischen alten Mittelklassen geworden. Sie sind die eigentliche gesellschaftliche Herausforderung für eine moderne linke Politik.
Die Grünen haben die heterogenen Interessenlagen dieser Schichten in hohem Maße in ihre Programmatik aufgenommen. Deshalb können sie glaubhaft scheinbar Gegensätzliches vertreten: etwa Erleichterungen bei der Einkommenssteuer für alle einerseits, Erhöhung von gezielten Verbrauchssteuern (Ökosteuer) andererseits; Verbreiterung der kollektiven sozialen Absicherung durch Umverteilung einerseits (Bürgerversicherung) und stärkere Individualisierung andererseits (private Zusatzvorsorge); Entbürokratisierung und stärkere Entstaatlichung einerseits, stärkere ökologische Regulierung andererseits.
Der Vorwurf verschiedener Kritiker der Grünen von links und rechts, dies sei opportunistisch oder unklare Politik, verkennt völlig, dass die Grünen hier die differenzierten Interessenlagen ihrer sozialen Basis konsequent entlang ihrer Wertmaßstäbe in praxistaugliche Politik umformulieren.
Die Grünen konnten mit der Verabschiedung ihres neuen Grundsatzprogramms im März 2002 ihr Profil als sozial-ökologische Bürgerrechtspartei der linken Mitte (und das heißt eben vor allem der „neuen Mittelklassen“) deutlich schärfen. Sie können damit den Anspruch untermauern die moderne, linke Partei in Deutschland zu sein. SPD und PDS sind mit ihren zeitgleichen Versuchen ein neues Grundsatzprogramm zu formulieren, auf der ganzen Linie gescheitert.
Mit der erfolgreichen Ausdehnung ihrer politischen Kernkompetenz vom Umwelt- auf den Verbraucherschutz haben die Grünen die soziale Dimension nachhaltiger Politik neu justiert. Ihre grundlegende politische Legitimation beziehen sie daraus, dass sie die politische Kraft sind, die konsequent für die notwendige Lösung der Überlebensfragen der Menschheit streitet. Kurz: die Grünen haben ein großes Thema, das auf lange Sicht hochaktuell ist und eine soziale Basis, die auf lange Sicht weiter wächst. Das sind Faktoren, die ihnen eine dauerhafte politische Perspektive und sogar eine mögliche Hegemonie in der Linken sichern können. FRITHJOF SCHMIDT