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Archiv-Artikel

daumenkino „Reconstruction“

Wie ein Gespenst durchweht die Versuchung romantischer Liebe „Reconstruction“, den Debütfilm des dänischen Regisseurs Christoffer Boe. Kein Wunder also, dass auch die Begegnungsstätten der Hauptfiguren einen ausgesprochen flüchtigen Charakter besitzen: Cafés, U-Bahn-Züge, Hotelzimmer. Wie diese Orte ist das ganze Leben von Zufällen bestimmt – und die Liebe nur noch ein Spiel höherer Mächte, ähnlich dem Zaubertrick des auktorialen Erzählers, den Boe aus den stürmischen Wogen des Begehrens plötzlich heraufsteigen lässt, damit er sich der Belastbarkeit unseres Gefühlshaushalts vergewissert. Doch dann bleibt auch das Sturmhafte dieser Leidenschaften nur Behauptung. Man hätte es schon zu Beginn des Films ahnen können, als jene allwissende Gestalt aus dem Schatten der Illusion heraustrat und mit Marlow-artiger Lakonie den Hammersatz verkündete: „Es ist nur Film. Es ist alles konstruiert – aber es schmerzt trotzdem.“

Etwas ist geschehen mit der Liebe, und dieses Etwas macht einsam. In einem Augenblick ist Alex (Nikolaj Lie Kaas) ein scheinbar glücklicher, halbwegs erfolgreicher Fotograf, im nächsten erkennen ihn seine besten Freunde nicht wieder. Dazwischen ist er vom rechten Weg des Lebens abgekommen: In der U-Bahn hat er seine Freundin Simone sitzen lassen, um einer anderen Frau, die Simone zum Verwechseln ähnlich sieht (und in beiden Fällen von Maria Bonnevie gespielt wird), zu folgen. Derweil sitzt der Ehemann der mysteriösen Schönen, ein Schriftsteller, in seinem Hotelzimmer und schreibt unermüdlich das Leben seiner Mitmenschen – das seiner Frau, das von Alex, sein eigenes – fort, wobei er permanent vom Realen ins Fiktive überblendet und zurück. Bis sich nichts mehr rückübersetzen lassen will. In der Tat, es ist konstruiert. Und es tut weh.

Man hat das in den letzten Jahren zur Genüge gesehen, und oft besser: „Memento“, „Abre los Ojos“, „Lost Highway“ und aktuell „Vergiss mein nicht“ behandeln den langsamen Kontrollverlust über die Gefühls- und Lebensoptionen konsequenter als Boe, ohne den Kontakt zur Dingwelt dabei vollends zu kappen. In Cannes hat „Reconstruction“ mit seinem diffusen New-Age-Liebesmystizismus die Caméra d’Or, den Preis für den besten Debütfilm, erhalten. Das ist insofern überraschend, als Boe Tiefe nicht in Bildern der Verstörung sucht. Die Kamera starrt vielmehr ungerührt mit der Emphase eines Überwachungsapparats auf seine Figuren.

ANDREAS BUSCHE

„Reconstruction“, Regie: Christoffer Boe, Dänemark 2003, 90 Min.