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Archiv-Artikel

daumenkino „Whale Rider“

Maori-Mystik

Natürlich sieht man dem dicken Wal gerne zu, wir er sich mit souveränen Schwanzplatschern seinen Weg durchs unendliche Blau bahnt und dabei seltsame Laute von sich gibt. Nicht weniger aufmerksam verfolgt man die merkwürdige Kampftechnik der Maoris, wobei die Krieger durch unerwartetes Zungenrausstrecken versuchen, den Gegner in Angst und Schrecken zu versetzen.

Und dann ist da noch dieses wuschelköpfige Mädchen. So durchdringend schaut Pai den Zuschauer mit traurigen braunen Augen an, dass er sie einfach ins Herz schließen muss. Grandiose Landschaftsaufnahmen von den Küsten Neuseelands und eine Bilderbuchheldin, mit der man die Traditionen und Riten der Maoris kennen lernen darf – was will man mehr?

Auf diversen Festivals wurde Niki Caros Film „The Whale Rider“ vom Publikum mit Standingovations bedacht und als löbliches Unterfangen in Sachen transglobaler Völkerverständigung gefeiert. Immerhin wird versucht, den Mythos vom Urahnen Paikea, der auf einem Wal nach Neuseeland geritten kam, mit einer zeitgenössischen Pubertätsgeschichte zu verbinden. Die Sehnsucht nach Anerkennung, die Suche nach einem Platz im Leben – über Probleme, mit denen sich Millionen von Teenagern aus aller Welt herumschlagen, sollen uns die Legenden und Geschichten der Maoris näher gebracht werden.

Die 13-jährige Pai möchte in die Fußstapfen ihrer Ahnen treten, die Rituale und Gesänge ihrer Kultur verstehen. Doch der sture Großvater Koro wehrt sich, dem Mädchen sein Erbe zu übergeben. Der Alte wartet auf einen männlichen Nachfahren, der würdig wäre, den Titel des Walreiters zu tragen und ihn als Stammesoberhaupt abzulösen. Tapfer buhlt die Kleine um die Gunst des alten Starrkopfs, trägt auf einer Schulaufführung stolz alte Gesänge vor, wird während ihres Vortrags aber leider von pupsenden Mitschülern unterbrochen. Heimlich lernt sie, wie ihre Vorfahren mit einem Stock zu kämpfen und dabei äußerst komplizierte Schrittfolgen zu stampfen. Nachts klettert sie auf ein altes Kanu und stimmt ein rhythmisches Wehleiden an. Und siehe da: Aus der weiten Ferne des blauen Ozeans antwortet der große Wal. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ahnt der Zuschauer, dass das Lockenköpfchen die Auserwählte ist, dazu bestimmt, das neue Stammesoberhaupt zu werden.

Inzwischen ist der Film zum emotionalen Esoterikdrama geworden. Mythos, Mystik und die eigentümlichen Gesänge der Maoris stehen nicht mehr für sich selbst, sondern untermalen nur noch die vom Drehbuch geforderten Stimmungen. Wenn dann noch sterbende Wale an den Strand gespült werden und die Heldin zum selbstmörderischen Walritt aufbricht, kommt die Tränendrüsenpresse mächtig in Gang. Geradezu wehmütig sehnt man sich nach dem infantilen Purismus der einen oder anderen „Flipper“-Folge zurück.

ANKE LEWEKE

„Whale Rider“. Regie: Niki Caro.Mit Keisha Castle-Hughes, VickyHaughton, Rawiri Paratene u. a.Deutschland/Neuseeland 2002,101 Minuten