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Archiv-Artikel

daumenkino „Nur ein Sommer“

Auf Berliner Flohmärkten kann man sie noch finden: russische Sprachlehrbücher mit der Kranführerin Larissa als Hauptfigur. Gemeinsam mit der Vorzeigearbeiterin stiefelt man durch den kommunistischen Alltag und lernt Worte wie Baustelle, Erholungsheim oder Kollektiv. Angesichts der selbstbewussten Eva aus Tamara Staudts Film „Nur ein Sommer“ fühlt man sich ein wenig an die Lehrbuch-Larissa und ihre sozialistischen Tugenden erinnert. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall hat die ehemalige LPG-Melkerin das Arbeiter-und-Bauern-Frauenbild ganz selbstverständlich in die Gegenwart gerettet. Zu Beginn des Films fallen Riesenkräne mit ihren Abrissbirnen in eine Eberswalder Plattenbausiedlung ein und machen die Überreste von Evas DDR dem Erdboden gleich. Dennoch behält die 35-jährige Mutter eines fast erwachsenen Sohnes die Hemdsärmel hochgekrempelt, rennt dem Arbeitsamt die Tür ein und verlangt nach neuen Aufgaben.

Angenehmerweise fügt dieser Film dem Genre des Ostarbeitslosenfilms einen ungewohnten Tonfall hinzu. Statt Larmoyanz draufgängerischer Optimismus, statt Abwarten Ausschreiten. Von ihrem jungen Freund lässt sich Eva kein schlechtes Gewissen machen, als sie einem Jobangebot in die Schweiz folgt. Hoch oben in den Alpen soll sie dem Senner Daniel (Stefan Gubser) bei der Versorgung seiner vierzig Milchkühe helfen. Als Zuschauer malt man sich schon händereibend den Kuh-Kulturen-Clash um Plansoll und Edelkäsereifung aus. Aber leider zeigt schon die erste Begegnung von Eva und Daniel, dass der Film auf etwas ganz anderes aus ist.

Nicht nur der Senner, auch die Kamera kann sich an den langen Beinen der Minirock tragenden Eva nicht sattsehen. Zunehmend degradiert der Film seine doch eigentlich so stolze Heldin zum Lustobjekt. Da mag Anna Loos als Eva noch so sehr auf Berliner Schnauze machen und sich über die monogame Unerfahrenheit des prüden Daniel lustig machen – die Kamera spricht eine andere Sprache. Sie zeigt Eva in enger Latzhose, deren Träger morgens noch auffordernd runterhängt, beobachtet sie voyeuristisch beim Nacktbaden im Bergsee und benimmt sich ansonsten wie ein Spanner, der sich sein Spannertum nicht eingestehen mag.

Schade, wo doch die eigentliche Sinnlichkeit zum Greifen nahe liegt: Etwa die Hände, die liebevoll Fell bürsten, Nüstern streicheln, Kuhärsche klopfen, den Käse in Form bringen. Mit der Schönheit dieser alltäglichen Gesten weiß Tamara Staudt so wenig anzufangen wie mit der saftig-grünen Berglandschaft. Sie bleibt bloße Fototapete. Und vom glücklichen Ende à la deutscher Heimatfilm wollen wir gar nicht erst reden. ANKE LEWEKE

„Nur ein Sommer“. Regie: Tamara Staudt. Mit Stefan Gubser, Anna Loos, Stephanie Glaser. Deutschland, 90 Minuten