daumenkino: Turbulenzen und andere Katastrophen
Das Kino als Desillusionsmaschine. Dieser Film nimmt einem ein für alle Mal das beschwingte Über-den-Wolken-Schweben und stutzt das Fliegen auf seinen profanen technischen Kern zurecht. Kein Blick nach draußen aufs endlose sonnengleißende Wolkenmeer, vielmehr die umgekehrte Perspektive. Die Kamera hängt sozusagen draußen am Steuerruder: ohrenbetäubender Lärm. Verkehrsstau wie am Kaarster Kreuz zur Rush Hour. Ein Flugzeug jagt das nächste auf dem Himmel-Highway. Und für die da unten im Tower auf Long Island ist man nicht mehr als eines von vielen roten Pünktchen auf dem Monitor, die im Stakkato-Tempo übers coole Koppfmikrophon besprochen werden (ließe sich auch als HipHop-Song verwursten).
Wenn jede Berufsgruppe ihre eigene Spezies heranzüchtet, dann scheint es sich bei den New Yorker Fluglotsen um die letzten Cowboys zu handeln. Der Luftraum ist ihre unendliche Prärie, die Flugzeuge ein Rinderheer, das nach weiter Reise in den Hangar gebracht wird. Den Vorarbeiter in „Turbulenzen und andere Katastrophen“ gibt John Cusack als Nick Übercool. Der Mann mit dem taktischen Durchblick weiß die roten Punkte am besten zu mänovieren und hilft schon mal aus, wenn es einen Kollegen aus dem Sattel geworfen hat. Nur der Neue (Billy Bob Thornton) ist noch schneller. Schon vor Arbeitsantritt dreitagebärtig, setzt der Jeansträger mit ziemlich unorthodoxen Methoden alles daran, den Flugplan einzuhalten.
Da wird man als Passagier kräftig durchgerüttelt, ist aber immerhin pünktlich gelandet. Nick mutiert angesichts dieser alles in Kauf nehmenden Gelassenheit zur beleidigten Leberwurst und sagt dem Outlaw den Kampf an – Duell über den Wolken. Die Fliegerei auf menschliches bzw. irdisches Maß zu bringen ist eine Sache. Aber muss es denn gleich so menschelnd zugehen?
Solange sich der Kampf im Tower zuträgt, bietet der Film tatsächlich ungewohnte Schauwerte mit hohem Informationswert. Stinklangweilig und recht herkömmlich geht es dann in den properen Einfamilienhäusern in New Jersey zur Sache. Die Konkurrenzkämpfe weiten sich aufs Weib aus, verschiedene Männlichkeitsvorstellungen werden durchgehechelt, und die Midlife-Crisis ist sowieso nicht mehr weit. Ein kleines rotes Pünktchen zu sein, schön und gut – aber gefälligst nicht in den feucht-zittrigen Händen eines gerupften Gockels auf dem Selbstfindungstrip.
ANKE LEWEKE
„Turbulenzen und andere Katastrophen“. Regie: Mike Newell. Mit John Cusack, Billy Bob Thornton, Angelina Jolie u.a. USA 1999, 120 Minuten
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