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daumenkinoVerliebte Autofahrer

Innocence

Küsse vor einem kleinen Fluss, der rauschend durch ein Wehr läuft: In diesem Bild erahnen wir schon den Film. Was ausnahmsweise erlaubt ist, denn es geht um Sentimentalität, Liebe und das Älterwerden. Also ein junges Paar: Wir sehen, wie sie im Gras heftig herumfriemeln. Aber das ist lange her, vierzig Jahre vielleicht.

Der australisch-belgische Film „Innocence“ erzählt die Geschichte von Claire und Andreas, die nicht vergessen haben, dass sie sich einmal geliebt haben. Sie treffen sich also wieder. Und dann sitzt Andreas in seiner Wohnung, tigert um die Möbel, diktiert den nächsten Brief an Claire: „Das Leben ist kurz, wie man so schön sagt. Wir müssen uns wiedersehen!“ Viel Zeit haben beide nicht mehr. Claire ist im Unterschied zu Andreas verheiratet. Also schreibt sie ihm zurück, dass sie zwar immer noch in seine „melancholische Art vernarrt sei“, aber „wir dürfen nicht wieder anfangen“.

Doch da ist es schon zu spät. In Rückblenden sehen wir die beiden immer wieder vor einem abfahrenden Zug. Irgendwie hat das Leben damals nicht gewollt, dass diese zwei Menschen ein Paar werden. Also fangen die beiden doch wieder an. Sie verlieben sich noch einmal ineinander. Treffen sich wieder, erinnern sich, wie sie sich, damals noch jung, gegenseitig auszogen, wie er ihren blöden BH-Verschluss nicht aufkriegte. Claire und Andreas schlafen zusammen.

Der Regisseur Paul Cox belästigt uns zum Glück nicht mit Erektionsstörungen und anderen Kinkerlitzchen. Es geht ihm nicht um „Sex im Alter“, aber es wird klar, dass es „im Alter“ auch um Sex geht. Aber wohl aus anderer Perspektive. Der Tod wird bedeutsamer als großer, unbesiegbarer Gegenspieler.

Cox lässt die beiden Verliebten rücksichtslos genug vorgehen, damit die Welt um sie herum ordentlich durcheinander gerät. „Sie will jetzt sogar wieder Auto fahren“, sagt der Ehemann von Claire entsetzt. Er versteht nicht, was mit seiner Frau los ist. Dabei hat es doch die letzten Jahre völlig gereicht, dass er Aktivität auf dem Golfplatz und im Chor beweist. „Sie hat den Verstand verloren“, sagt er zu seinem Sohn.

Die Jungen kommen nicht gut damit zurecht, wenn die Alten plötzlich ihrer Lust und Liebe nachgehen. Wenn sie nicht mehr nur einfach für die Kinder da sind.

Cox hat einen melancholischen Film gedreht. Zum Heulen bringt er uns nicht, aber zum Nachdenken über die Dinge unseres Lebens, die wir vor dem Tod tun sollten.

ANDREAS BECKER

„Innocence“. Regie: Paul Cox Mmit Julia Blake und Charles Tingwell. Australien 2000, 94 Min.

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