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Archiv-Artikel

das wort zum dienstag Radiohead: Hail to the thief

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mix aus Nordischem und Klein-Berlin. Hausautor am Theater, holt er für die taz Perlen aus dem hanseatischen Schlick.

Das erste Lied endet nicht, es hört einfach auf. Das zweite Lied endet nicht, es hört einfach auf. Vielleicht ist das ein Statement. Radioheads erste Platte Pablo Honey war noch beherrscht von ehrlichem Rock, in aller Konventionalität kraftvoll. The Bends war dann perfekt, sublim und hymnisch und nebenbei vollkommen chartskompatibel. OK Computer war dessen Verfeinerung ins Unwahrscheinliche, Anbetungswürdige, der lachende und der weinende König, sexy Leiden. Kid A war Kategoriensturz, alles neu, alles anders, Dekonstruktion tradierter Songstrukturen, erregend gefährdend. Amnasiac schließlich war Kid B, die zweite, wenngleich schwächere Hälfte eines inoffiziellen Doppelalbums, Sammlung weiterer Begriffzertrümmerungen. Was sollte, was konnte jetzt noch kommen?

Hail to the thief verwaltet treu das geschaffene Vokabular und pflegt an den entscheidenden Bruchstellen die in ihrer Bedächtigkeit nachvollziehbare Wendung in den Rock.

Also gut: Meine Kopfhörer und ich als Radiokopf unterwegs in Bremen.

Track 1. 2 + 2 = 5. Ich empfehle weltleere Blicke auf das ungewuchtete Auf und Ab zweier Katzenaugen, die nicht gleich weit von der Achse des Hinterrades entfernt sind. Und der Fahrradfahrer in den Wallanlagen neben dem Theater würdigt mich keines Blickes. Ich ihn auch nicht. But I’m not.

Track 4. Backdrifts. Ich empfehle, nachts die Teerhofbrücke mit kleinen, stampfenden Schritten zu überqueren, unbehelligter Pseudotanz. Das Maß der Füße so gemessen, dass ich genau nach 5:22 auf der anderen Seite ankomme, 2 + 2 = 5. Und ab der Hälfte bei jedem Viertel den Kopf um hundertachtzig Grad herumreißen, nach links zum Wasserturm, nach rechts zu St.Stephani, links Wasserturm, rechts St.Stephani. Wichtig: auf jedes betonte Viertel der Wasserturm. Dein eigenes kleines Video, Logik des Taumelns. So full of sleep I’m backsliding.

Track 9. There there. Ich empfehle die hungeräugige Sicht aus einem Zug, der auf freier Strecke steht. Meine vergebliche Suche nach Indizien im Naturgrün, dass wir in Zeitlupe fahren, so sehr verlangsamt, dass ich es nur nicht merken kann. Just because you feel it doesn’t mean it’s there. Jeder Baum, der sich nicht bewegt, wie er es sollte. Jede Hecke, die erstarrt ist in amüsierter Hocke, über mich lächelt. Und wieder genau 5:22. We are accidents waiting to happen.

Track 10. I will. Ich empfehle, weit übers Sperrwerk am Teerhof gebeugt zu stehen, mit Blick auf die verkanteten Reste des FPD-Plakates, das auch der Platzregen am Sonntag nicht freigeschwemmt hat: Endspurt, Dr. Gudio We. Und die selbstzufrieden durchs Bild latschenden Enten wundern sich, als wussten sie von nichts, über das Gewicht der Welt. White elephants sitting ducks.

Thom Yorks Stimme entführt mich wie immer in meinen Nacken und streckt ihn. Wie immer die Janusköpfigkeit der Akkorde, unentschlossen zwischen Dur und Moll, der lachende und der weinende König. Und die neuen Elemente, die nachvollziehbaren Steigerungen in den Rock sind als konsequentes Mittel erkennbar, bleiben jedoch in ihrer durchschaubaren Genrehaftigkeit aber schwächer als die selbstbestimmteren Flüge der letzten Alben. Hail to the sexy Leiden. Kristo Šagor