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das wirtshaus mit fließendem wasser

von RALF SOTSCHECK

Es gibt Neuigkeiten vom Wirtshaus zur Hölle. Die älteren Leserinnen und Leser mögen sich erinnern, dass hier schon einmal vom „Cumiskey’s“ die Rede war, jenem Etablissement am Dubliner Broadstone, in dem sich Vater und Sohn Cumiskey mit Bosheiten gegenseitig den Tag vergällten – und ihren Gästen den Abend.

Der alte Aidan ist inzwischen 80 und hat sich zur Ruhe gesetzt. Jeden Abend um sieben kommt er kurz aus seiner Wohnung über der Kneipe herunter, begrüßt die Stammgäste und lamentiert: „Dieser Pub ist nicht mehr, was er mal war.“ Damit hat er Recht. Sein einfältiger Sohn Stephen wollte die Kneipe, nachdem er Alleinherrscher geworden war, modernisieren und erweitern. Das Gegenteil hat er erreicht.

Dass er die altrosa Wände gelb strich, nahmen die Stammgäste dankbar zur Kenntnis. Doch dann ließ er die Toiletten herausreißen, wobei die Porzellan-Pinkelbecken aus dem Jahr 1848 – die einzigen Wertgegenstände im ganzen Pub – in tausend Stücke zerbrachen. Die behelfsmäßigen Klos wurden ans Ende der Theke gebaut, was das Trinkvergnügen beeinträchtigte, weil man durch die pergamentdünnen Trennwände jeden Furz hörte.

Schlimmer aber war das Loch im Fußboden, das die Bauarbeiter bohrten, um die Fundamente zu testen. Es gab keine: Unter der Kneipe fließt ein Bach, der Poddle, und das „Cumiskey’s“ ruht auf ein paar Felsen am Ufer. Die Bauleute stellten ihre Arbeit geschwind ein und suchten das Weite.

Stephen tat, als sei nichts geschehen, bis eines Tages ein gewaltiger Riss die Giebelwand spaltete. Die rechte Hälfte des Pubs wurde baupolizeilich geschlossen. Unglücklicherweise standen dort die Ersatztoiletten, die nun erneut verlegt werden mussten. Stephen ließ einen Bretterverschlag direkt vor der Theke errichten. Wer auf das Männerklo will, muss die Tür öffnen und sich in die Ecke zwängen, um die Tür wieder zu schließen, denn nur so gelangt man nach links zum Pinkelbecken. Das ist an der Theke festgeschraubt, getrennt nur durch eine Spanholzplatte. Unter dem Becken verläuft die Messingfußleiste, die ursprünglich die Theke eingefasst hat.

Die Kneipe ist jetzt nur noch so groß wie ein Wohnzimmer, aber Stephen ist genauso boshaft wie früher. Als die Gäste ihn baten, auf das erste Programm umzuschalten, weil dort ein politisches Magazin lief, erfüllte er ihnen den Wunsch zunächst, schaltete aber nach fünf Sekunden auf Eurosport um und lachte hämisch. Aus Rache stimmten die drei Tenöre – Stammgäste, die vermutlich schon bei der Eröffnung der Kneipe vor siebzig Jahren auf derselben Bank saßen – dreistimmig Volkslieder an, was schon bei der zweiten Strophe unerträglich wurde, weil jeder der drei versuchte, die anderen in puncto Lautstärke zu übertreffen.

Nur die drei Guppys, die früher im Aquarium in der Ecke aufgrund mangelnder Kneipenbelüftung bei lebendigem Leibe geräuchert wurden, haben es hinter sich. Sie wohnen jetzt im Poddle, behauptet Stephen: Er habe ihnen die Freiheit geschenkt und sie in das Loch im Fußboden gekippt.

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