das wird: „BürgerInnen lernen, sich selbst als KünstlerInnen wahrzunehmen“
Das Stück „Swipe, Match, Love“ der BürgerInnenbühne Oldenburg beschäftigt sich mit Onlinedating
Interview Karoline Gebhardt
taz: Calendal, glauben Sie an die große Liebe oder eher an gute Algorithmen?
Calendal: Weder noch. Ich glaube daran, dass die Erzählungen um die große Liebe und die algorithmischen Versprechungen super Hand in Hand gehen. Und dass es spannend sein wird, das, was darunter liegt, in unserem Stück zu entdecken. Liebe und das Versprechen von ewiger oder wahrer Liebe lösen in der Realität Druck aus. Dabei gibt es schon längst eine gelebte Emanzipation von diesem einengenden Konzept. Und trotzdem ist es eine Erzählung, die Generation für Generation ihre Wirkung entfaltet und dadurch Druck ausübt. Wir versuchen in „Swipe, Match, Love“ dieser Norm gelebte Erfahrungen entgegenzusetzen.
taz: Mit welchen Fragen beschäftigen Sie sich im Stück?
Calendal: Wie wollen wir Gesellschaft definieren und wie wollen die Beteiligten in Oldenburg zusammenleben? Welchen Blick auf Liebe auf Beziehungen haben sie? Die Inhalte kommen von den Leuten, die am Stück mitwirken.
taz: Wie haben Sie das gestaltet?
Calendal: Die erste Probe war im Dezember, als wir auf die BürgerInnen getroffen sind, die davor schon ein paar Monate geprobt und sich kennengelernt haben. Die Bühnenbildnerin Yi-Ju Chou und ich sind mit einem Gespräch in die Proben gestartet. Ich habe Texte mitgebracht, die wir gemeinsam gelesen und diskutiert haben, ausgehend von der Frage, welche Erfahrungen in der Gruppe mit Onlinedating gemacht wurden. Wir haben schnell festgestellt, dass Onlinedating eigentlich eher der Anlass ist, um über verschiedene Beziehungsmodelle zu sprechen. Auch über FreundInnenschaften und warum diese anders funktionieren als Beziehungen.
taz: Wer kommt bei der BürgerInnenbühne zusammen und wie haben Sie diese Erfahrungen in der Regie wahrgenommen?
Performance „Swipe, Match, Love“: Premiere heute, 25. 4.,19 Uhr, Kulturetage Oldenburg; weitere Termine: 26. 4., 9. 5., 10. 5., 16. 5., 17. 5.
Calendal:Das Theater K schaltete einen Open Call, für den das Thema feststand und Interessierte meldeten sich darauf. Wir als künstlerisches Team sind dann in eine Gruppe gekommen, die sich schon kannte. Das war ungewöhnlich, weil ich die Arbeit häufig so kenne, dass diese Kennenlernphase auch Teil von einem künstlerischen Prozess ist. Der Fokus lag dann sehr schnell darauf, unsere künstlerische Vorgehensweise zu teilen und eine gemeinsame künstlerische Sprache zu entwickeln.
taz: Wie verändert sich Theater, wenn es offen für alle ist?
Calendal: Die Sicherheiten, die sonst vorausgesetzt werden, also beispielsweise was es bedeutet, in einer großen Gruppe auf der Bühne zu stehen, haben wir mit den Beteiligten erarbeitet. Das war für mich absolut bereichernd. Außerdem können durch diese Öffnung Blickwinkel aus der Gesellschaft auf die Bühne kommen, die sonst keinen Raum haben, um ihre Lebenserfahrungen und ihren Blick auf das Leben zu teilen. Das fand ich sehr schön. Die Möglichkeit, Komplexität auf die Bühne zu bringen, die mit den Menschen, die auf der Bühne sprechen, auch verknüpft ist, war toll.
taz: Man kann so also ein breiteres Bild der Gesellschaft auf Theaterbühnen bringen?
Calendal: Auf jeden Fall. Zum einen wird ein Teil der Gesellschaft auf der Theaterbühne sichtbar und zum anderen lernen BürgerInnen, ihre eigene Stimme anders zu nutzen und sich selbst als KünstlerInnen wahrzunehmen. Gerade durch diese Altersspanne, die wir haben, habe ich viel lernen können durch den Blick von zum Beispiel einer pensionierten Lehrerin. Es ist sehr bereichernd, wenn man außerhalb seines Milieus arbeitet.
taz: Was haben Sie gelernt, zum Beispiel?
Calendal: Es gibt einen Satz im Stück, der heißt: „Ich bin aber nicht das erste Mal in meinem Leben verliebt und bestimmt auch nicht das letzte Mal. Und das ist mir bewusst.“
taz: Gab es bestimmte Perspektiven, die Ihnen besonders wichtig waren?
Calendal: Was fehlt, und das bedaure ich persönlich, sind BiPoC- und trans* Perspektiven. Unser Fokus lag darauf, die Sichtweisen der Beteiligten abzubilden und ihren Erfahrungen gerecht zu werden. Was uns, glaube ich, gut gelungen ist.
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