piwik no script img

das wird„Wir stehen ganz unten in der Hackordnung“

Die grenzüberschreitende Kraft des Kinos feiert die 45. Ausgabe des Europäischen Filmfestes Göttingen

Interview Wilfried Hippen

taz: Herr Schweckendiek, Sie sind verantwortlich für das Spielfilmprogramm des Europäischen Filmfestivals in Göttingen. In diesem Jahr gibt es bei Ihnen einen Länderschwerpunkt Frankreich. Den muss es in den 45 Festival-Jahren allerdings schon öfter gegeben haben.

Helge Schweckendiek: Ja, die großen europäischen Produktionsländer wie Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien bekommen bei uns etwa alle sechs Jahre einen Schwerpunkt. Einerseits werden in den kleineren Ländern nicht so viel Filme produziert, während man etwa bei Frankreich eine Überfülle an Filmen bändigen muss. Andererseits ist es schwerer, bei den Filmen aus kleineren Ländern ein größeres Publikumsinteresse zu wecken.

taz: Warum haben Sie vor drei Jahren die Programmschiene „Über Grenzen“ eingeführt?

Schweckendiek: Wir hatten das Bedürfnis, etwas Neues zu machen. Diese neue Sektion hat diverse Vorteile. So konnten wir etwa über die strikte Begrenzung hinauskommen, nur Filme aus Europa zu zeigen. Die Filme in der Reihe sind zwar europäische Produktionen, sie spielen von einer Ausnahme abgesehen aber nicht in Europa. Außerdem zeigen wir dort Filme, die auch von der Erzählweise her neue Perspektive entwickeln und in denen etwas Neues gewagt wird. In ihnen geht es um die grenzüberschreitende Kraft des Kinos, und das steht einem kleinen Festival wie uns gut an.

taz: Verspricht der Titel nicht auch ein ­politisches Kino?

Schweckendiek: Natürlich! Migration ist ein großes Thema in dieser Sektion. So zeigen wir „Souleymane’s Story“ von Boris Lojkine über einen afrikanischen Migranten in Paris. Und auch Kolonialismus ist ein Thema. Etwa in dem Spielfilm „Grand Tour“ von Miguel Gomez.

Helge Schweckendiek

Jahrgang 1962, kuratiert das Spielfilmprogramm beim Filmfestival Göttingen.

taz: Das ist ein portugiesischer Spielfilm über die Fernostreise eines britischen Kolonialbeamten im Jahr 1917.

Schweckendiek: Das klingt wie ein Abenteuerfilm, hat aber viel mit Kolonialismus zu tun. Wie auch „Kalak“, in dem Isabella Eklöf von einem dänischen Krankenpfleger erzählt, der vor seinen privaten Problemen nach Grönland flieht und dort gegenüber der einheimischen Bevölkerung übergriffig wird.

taz: Auch der vierte Film in der Sektion handelt von Europäern in einem fernen, fremden Land.

Schweckendiek: Das ist „Transamazonia“ von Pia Marais. Darin spielt Helena Zengel, die Hauptdarstellerin von „Systemsprenger“, die Tochter eines Missionars, die sich im brasilianischen Dschungel als Wunderheilerin etablieren will und dabei in Spannungen zwischen der indigenen Bevölkerung und illegalen Holzfällern gerät.

taz: Die Reihe wurde von Jendrik Walendy kuratiert, der auch bei der Programmierung des Filmfestes Hamburg beteiligt ist. Gibt es auch praktische Gründe für diese Zusammenarbeit?

Eröffnung 45. Europäisches Filmfestival, Altes Rathaus , 21. 11. In diesem Rahmen werden in Göttingen vom 22. 11. bis 1. 12. insgesamt 56 Filme gezeigt. Spielstätten sind das Kino Méliès, Bürgerstraße 13, und das Kino Lumière, Geismar Landstraße 19

Schweckendiek: Ja, wir nutzen die Synergieeffekte, denn er hat viele Kontakte, und wenn Filme schon in Hamburg liefen, dann sind die internationalen Lizenzgeber eher bereit, sie auch für ein kleines Festival wie zu uns nach Göttingen zu geben.

taz: Es wird also hart darüber verhandelt, welche Filme auf welchen Festivals gezeigt werden dürfen?

Schweckendiek: Auch Festivals befinden sich in einer Konkurrenz untereinander und wir in Göttingen stehen ganz unten in der Hackordnung, weil wir das kleinste Festival in Niedersachsen sind. Deshalb können wir so gut wie keine Deutschlandpremieren auffahren. Die Pro­gramm­ma­che­r*in­nen von den kleinen und mittleren Festivals müssen damit leben, dass die großen Festivals wie Berlin, München oder Hamburg „das Recht der ersten Nacht“ haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen