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das wird„Der Mensch war unwichtig“

Warum Schöningen die weltweit bedeutendste Fundstätte für die Zeit vor 300.000 Jahren ist, erklärt Grabungsleiter Jordi Serangeli im Landesmuseum Braunschweig

Interview Petra Schellen

taz: Herr Serangeli, warum ist der Ausgrabungsort Schöningen „systemrelevant“?

Jordi Serangeli: Weil er anhand prähistorischer Funde zeigt, wie ein Ökosystem, das landschaftlich und klimatisch dem heutigen gleicht, ohne menschliche Eingriffe aussähe.

Nämlich wie?

Das lässt sich in Schöningen, wo es vor 300.000 Jahren einen großen See gab, anhand der vielfältigen Fauna zeigen: Es gab neben dem Menschen zahlreiche weitere Großsäuger wie Wald- und Steppen-Nashörner, Pferde, Wildesel, Wasserbüffel, Wisente, Auerochsen, Riesenhirsche, Säbelzahntiger, Löwen, Wölfe, Füchse, Bären, Biber, Marder, Wiesel. Außerdem streiften hier, im Braunschweiger Land, wohl bis zu 20.000 Elefanten umher.

Welche Rolle spielte damals der Mensch?

Er war unwichtig. Im Gebiet des heutigen Deutschland gab es vielleicht 10.000, 20.000 Menschen. Sie haben ab und zu ein Tier gejagt, sich aber auch viel von Früchten, Beeren und Wurzeln ernährt. Die Aktivitäten des Menschen spielten keine Rolle für die Umwelt.

Foto: privat

Jordi Serangeli

52, Ärchäo­loge am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Uni Tübingen, leitet die Ausgrabungen in Schöningen.

Aber er hinterließ „Müll“.

Ja, neben einem fast vollständig erhaltenen, wohl an Altersschwäche gestorbenen Elefanten am Ufer des Sees haben wir Absplisse gefunden, die vom Schärfen der Messer stammen müssen, mit denen wahrscheinlich der Elefant ausgeweidet wurde. Auch Wurfspeere, Wurfstöcke und eine Stoßlanze wurden in Schöningen gefunden. Die wurden übrigens weit öfter zur Verteidigung gegen Raubtiere verwendet als zur Jagd. All diese Funde sind rund 300.000 Jahre alt, alle aus Holz und fantastisch gut erhalten. Schöningen ist die wichtigste Fundstelle weltweit für diese Epoche. Ich selbst stamme ja aus Rom und habe mich oft gefragt: Was für Holzspeere hatten die alten Römer? Wie viele andere hölzerne Gegenstände hatten sie? Aber erhalten ist so gut wie gar nichts! Dabei legt die römische Antike lächerliche 2.000 Jahre zurück!

Und warum sind die Schöninger Funde so gut erhalten?

Alles, was wir finden, lag am Ufer des besagten Sees und hat sich 300.000 Jahre lang im feuchten Milieu erhalten. Die Gegenstände lagen zuerst am Ufer des Sees, dann kamen sie rasch unter Schlammschichten, danach gerieten sie unter den Grundwasserspiegel. Erst als der (2016 eingestellte) Braunkohle-Tagebau hier begann, wurde der Grundwasserspiel gesenkt, und wir Archäologen konnten zehn Meter in die Tiefe graben.

… wo Sie kürzlich auch interessante Fußabdrücke fanden.

Vortrag: „Schöningen – Die ältesten Fußspuren Deutschlands“: 30. 8., 19 Uhr, Museum Hinter Aegidien, Braunschweig

Ja, wir haben, eingedrückt im Schlamm, drei längliche Fußabdrücke gefunden, die wohl von Menschen stammen. Es sind zwei rechte Füße, Schuhgröße 37 und 33. Beim dritten, Schuhgröße 27, wissen wir nicht, ob rechter oder linker Fuß. Es sind die ältesten je in Deutschland gefundenen menschlichen Fußspuren. Deutlich ältere gibt es zum Beispiel in Afrika.

Was bedeuten die Schöninger Fußabdrücke für die Forschung?

Sie sind etwas Besonderes, weil sie relativ klein sind. Die Rekonstruktion, die wir von dem Künstler Benoît Clarys haben erstellen lassen, zeigt eine jüngere Frau – das entspräche Schuhgröße 37 – und zwei Jugendliche, die sich an diesem See aufgehalten, vielleicht im Wasser gespielt haben. Das ergibt ein ganz anderes Bild, als man gewohnt ist: In den meisten prähistorischen Museen werden junge Männer zwischen 15 und 25 abgebildet, die auf die Jagd gehen. Als ob es keine Frauen, keine Kinder, keine älteren Leute gegeben hätte! Deshalb ist unsere Rekonstruktion schon etwas anderes, weil sie neue Facetten prähistorischer menschlicher Gemeinschaften zeigt.

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