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das wetter

Impfgier

Mit unverhohlener Gier stürzte sich Edeltraud Bohlen auf die Ampulle, die über den Betonboden rollte. Im Impfzentrum war bereits der Alarm ausgelöst worden. Die roten Lichter rotierten, die Sirene heulte auf und ab. Immer öfter waren inzwischen diese beunruhigenden Szenen zu beobachten: Von Impfgier ergriffene Alte randalierten und krempelten gar nicht erst ihre Ärmel hoch, sondern jagten sich, nachdem sie die Spritze aus einer sterilen Schale gestohlen hatten, selbst den Stoff, aus dem die Tagträume waren, durch den Pelzmantel ins eigene Fleisch. Oft flogen die Fetzen, und Greise balgten sich ums kostbare Nass. Edeltraud Bohlen stellte mit ihrem Stock einem heißblütigen Hundertjährigen ein Bein, ergriff das teure Fläschchen, riss es auf und trank die Zukunft in einem Schluck aus. „Impfen ist süß, Corona ist grausam“, rief sie, als die Handschellen klickten.

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