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Archiv-Artikel

das sommerwunder (2) GEREON ASMUTH erklärt, warum der Sommer in Berlin so schön ist

Die Stadt spricht in Zungen

Königin Beatrix auf der Fünf-Cent-Münze. Der Leonardo-Mann auf der Rückseite des Euros. Europa reitet auf dem Stier für zwei Euro. Ein Blick ins Portemonnaie reicht, und schon weiß man: Sie sind da. Sie tragen Sonnenbrillen, Reiseführer und Fotoapparate – und sie hinterlassen Spuren. Halb Berlin ist im Sommer ausgeflogen. Dennoch hier gebliebene Vorortbewohner schwärmen von freien Parkplätzen, spurtfreien Straßen oder unendlichen Sitzgelegenheiten in den U-Bahnen. Aber in Mitte merkt man praktisch nichts davon. Denn hier wird die Lücke ruckzuck wieder aufgefüllt, durch Massen von Touristen.

Sie bestaunen das aufpolierte Brandenburger Tor, sie stehen Schlange am Checkpoint Charlie, um das obligatorische Original-gefälschter-Sandsack-vor-original-gefälschtem-Grenzerhäuschen-Foto aufzunehmen, sie bestaunen die seltsamen, aber offenbar typischen Trinkgewohnheiten der Einheimischen, die grünes oder rotes Bier schlürfen. Und eigentlich könnte einem das ganze dahergelaufene Gesocks gehörig auf den Keks gehen. Aber zum Glück zieht es bei weitem nicht nur die organisierten Reiserudel in die Hauptstadt des Sommers. Auch in den WGs füllen sich die Sommerlöcher schnell mit Um-tausend-Ecken-Freunden aus aller Welt.

Wenn den gemeinen Berliner das Fernweh quält, braucht er sich folglich nur in irgendein Innenstadt-Café zu setzen, schon schwimmt er im akustischen Flair von Babylon. Idiom-Junkies bevorzugen den Lustgarten oder noch besser das Café des Backpacker-Hostels Circus am Weinbergsweg. Denn dort spricht das sommerliche Berlin in Zungen. Ein internationales Sprachengewirr, wie es keins der monokulturellen Urlaubsghettos in Mallorca oder Rimini bieten kann.

Zudem trifft man auf einen unvergleichlich metropolitanen Erfahrungsschatz. Ein Mexikaner schwärmt von Schumann und Bach, Schopenhauer und Nietzsche. Schließlich hat er durch eine deutsche Klavierlehrerin erst Komponisten, dann Philosophen und schließlich die deutsche Sprache schätzen gelernt – so kann er dem kulturbanausigen Berliner eine Lehrstunde verpassen. Ein Amerikaner führt die Zufallsbekanntschaft erst über einen Hinterhof in einen obskuren Jazzschuppen, der hat geschlossen, dafür präsentiert er später beim Bier seine Freunde aus Portugal und Spanien. Und eine aus einem vermeintlichen Drittwelt-Land dahergelaufene chinesische Malaysierin verblüfft den scheubeklappten Berlin-Fanatiker mit der Erkenntnis, dass das hiesige Weltdorf ganz nett sei. Doch Plattenbauten, Fernsehturm und Mulitkulti kenne sie alles von daheim aus Kuala Lumpur – nur größer, höher, intensiver. Zugegeben, die Chinesin stolperte erstmals im Dezember aus der U 2. Die Sommerqualitäten Berlins haben sich eben noch nicht in der ganzen Welt herumgesprochen. Doch wenigstens hier kann der Einheimische mit Ortskenntnis überzeugen. Beim zweiten Mal kam sie im Juli.