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Archiv-Artikel

das elend auf der welt und die rolle der kultur Blubo auf privater Basis

Die Globalisierung geht über den Imperialismus als letztes Stadium des Kapitalismus hinaus – insofern das Kapital dabei langsam von der Kartellbildung absieht, sich dabei aber vom bürgerlichen Staat selbst in Bezug auf den Binnenmarkt verabschiedet. Und dieser dafür nun im nachholenden Gehorsam den ganzen „Sozialklimbim“ abstreift. Mithin greift das Hauen und Stechen itzo auch im Inneren. Der Terrorismus fügt dem punktuell nur eine finale Romantik bei, die von den realen Arbeitsbedingungen längst der Lüge überführt wurde, will heißen: Sie sind bereits extremistisch und demütigend.

In Berlin begann diese Entwicklung als „Experiment“ in den Siebzigerjahren – mit dem Bauherren- oder Abschreibungsmodell, in dem sich das Konzept der Subsubsubunternehmer durchsetzte. Vor allem durch den Unternehmer Klingbeil und seine schlauen Poliere Guttmann und Groenke. Bei diesem Modell beißen die Letzten die Hunde: Die Zahlungsmoral besteht darin, das Ende der Gewinnkette mit hinhaltenden Regressforderungen und/oder geplanten Konkursen in die Verzweiflung zu treiben. Das betraf anfangs primär westdeutsche Ingenieurbüros und Handwerksbetriebe, die sich auf den lukrativen Frontstadt-Bausektor vorgewagt hatten und dabei eben gescheitert waren. Sie konnten sich jedoch noch der Solidarität der westdeutschen bürgerlichen Presse wie etwa der Zeit sicher sein.

Richtig zur Parade kam dieses schweinöse „GmbH & Co KG“-Bauverfahren indes erst 1990 mit der einen und einzigen Wiedervereinigungsidee „Abschreibung-Ost“ (Sonder-Afa genannt). Und zwar im Verein mit der „2 plus 4“-Vereinbarung „Kontingentarbeitskräfte aus Osteuropa“. Zusammengenommen boten sie ein ideales Einfallstor für illegale Praktiken und ebensolche Bauhilfsarbeiter. Seitdem vergeht auch kein Tag, an dem nicht die von einem Subsubsubunternehmer beschäftigten Arbeiter um ihren Lohn geprellt werden. So warten zum Beispiel noch immer etliche polnische Bauarbeiter auf Gehälter in Höhe von zigtausend DM von ihrer polnischen Baufirma, die sie vor Jahren auf die debis-Baustelle Potsdamer Platz verpflichtet hatte. Ähnliches spielt sich derzeit auf der Baustelle Rathauspassagen ab. Solche Geschäftsgebaren haben inzwischen jedoch längst auch auf andere Branchen und Länder übergegriffen. So wurden kürzlich 3.500 Fälle von Lohndumping und Sozialbetrug in einigen niedersächsischen Schlachthöfen aufgedeckt: Dabei handelte es sich um teils illegal eingeschleuste und teils als Kontingentarbeiter vermittelte Rumänen. Diese werden auch immer wieder gerne in Israel gegen legal tätige Palästinenser ins Beschäftigungsfeld geführt. Wobei Letztere ebenfalls meist nur noch als Einmann-„Subunternehmer“ eine Chance haben (sofern sie ihre abgeriegelten Siedlungen überhaupt verlassen dürfen).

In Berlin, dem Vorläufer dieser Deregulierungsentwicklung, hat man das daraus folgende arbeiterliche Elend beizeiten bereits mit Kultur und Kunst garniert. Erinnert sei nur an die Verwandlung der staub- und staubildenden Großbaustellen der Neunzigerjahre in kulturelle Topevents – bis hin zu Aussichtsplattformen, Kranballettvorführungen und anspruchsvollstem „Baustellen-Marketing“. Dieses nahm am Check-Point-Charly-Businesscenter seinen Anfang, wobei die dabei seitdem zum Einsatz gekommene „Kunst“ die Bauarbeiter durchweg ignorierte, das heißt, sie wurden in ihren Werken nicht mehr thematisiert. Inzwischen ist dieser ganze Baustellen-Lug und -Trug gottlob zu einem Ende gekommen. Dafür hat der globale Drive die Künstler inzwischen derart gepackt, dass sie ihre Ideen zum einen nur noch auf Amerikanisch annoncieren und zum anderen alle möglichen von Bürgerkriegen und Terroranschlägen gebeutelte Regionen künstlerisch heimsuchen. Wo immer auf der Welt Bomben explodierten und der Wiederaufbau ansteht, fällt kurze Zeit später eine Berliner Kulturoffensive an oder ein. Das begann mit Sarajevo. Hier hatte Susan Sontag allerdings noch die Nase vorn. Und setzte sich dann mit Beirut, Südafrika, Jugoslawien etc. fort. Bis hin nun – zu „Argentinien“ als eine „künstlerische Untersuchung“ bzw. Herausforderung ersten Ranges.

Die Produktivität der Künstler resultiert aus ihrer Fähigkeit, sich den verschiedenen Zeitströmungen anzupassen, und aus ihrer moralischen Verkommenheit. Insofern passen die Baustellenkünstler zum Bauherrenmodell wie die Faust aufs Auge. Dieses ist aber erklärungsbedürftig: Das steuerbegünstigte Einsammeln von Zahnarztprofiten zum Zwecke des Errichtens von Centern aller Art – ohne Sinn und Nutzer – ist eine deutsche Besonderheit. Im Rest der Welt hat man zuerst eine Geschäftsidee, die man realisiert und provisorisch domiziliert. Erst wenn die Existenzgründung aus allen Nähten boomt, packt man das Ganze in einen Repräsentativbau. Hier dagegen wird sogar das Stadtschloss mit dem Eingeständnis wiedererrichtet: „Was da reinkommt, wissen wir noch nicht“. Und in Frankfurt (Oder) vergraulte man die Betreiber einer Chipfertigung, gleichzeitig wurde jedoch die Superfabrik dafür in Rekordzeit errichtet. Hat dies – wohl durchdacht – System oder ist das die blinde Rache der Chromosomen? HELMUT HÖGE