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Archiv-Artikel

daheimbleiben und flachliegen Die Champagnervergiftung

Eigentlich hätte an dieser Stelle in der Kolummne ausgehen und rumstehen ein Erfahrungsbericht über die Auswirkungen des Easy-Jet-Tourismus auf unser Ausgehverhalten stehen sollen. Aber pünktlich zu Pfingsten bewahrheitete sich wieder einmal die alte Weisheit: Wenn man das Wochenende zu früh anfängt, hört es manchmal auch ganz früh auf. Am Freitag zu einem Geburtstagsempfang geladen, am Samstag und Sonntag mit einer schweren Champagnervergiftung darniederliegend – da macht auch der Pfingstmontag kein Wochenende mehr.

Die Champagnervergiftung ist ein Phänomen, das in der medizinischen Literatur bisher kaum beschrieben wird. Meine erste Ch.-V. hatte ich bei einer Echo-Verleihung. Es waren noch bessere Zeiten für die Musikindustrie, auch taz-Reporter waren zur anschließenden Party im Palais am Funkturm geladen, und vor einer Pyramide aus Champagnerflaschen standen livrierte Kellner und schenkten das flüssige Gold großzügig aus. Meine Frage an die moderne Medizin lautet: Warum vergiftet man sich ausgerechnet mit Champagner, diesem edlen Getränk, wo man doch sonst im Leben weiß Gott schon so viel schlechten Weißwein und minderwertigen Sekt unbeschadet in sich hineingeschüttet hat?!

Auch diesmal hatte alles gut angefangen: Es war recht schön auf dem Balkon in Kreuzberg, das Geburtstagskind öffnete die wertvollen Flaschen auf Schumacher’sche Art, dazu rief man den liebgewordenen Ausdruck: Champagner!! Einiges von dem kostbaren Nass wurde sinnlos verschüttet, ging auf die Balkonbepflanzung nieder, und an der Unterseite der altrosanen Löwenmäulchenblüten bildeten sich dicke Chamapagnertropfen und funkelten in der Abendsonne. Hummeln summten über die champagnerbenetzte Blütenpracht. Weil ein Gewitter aufkam, flogen die Schwalben nicht nur recht tief, sondern lieferten vor den Augen der Gäste eine ausgeklügelte Flugshow ab: Sie verfolgten sich paarweise, flogen haarscharf an den Köpfen der Balkonbesucher vorbei, stiegen wieder auf und ließen sich kamikazehaft in die Tiefe über der Kreuzung fallen. Das Geburtstagskind, bekannt für seine Liebe zum Horrorfilm, packte Geschenke aus und prägte das bis dato unbekannte badische Diminutiv der „goldigen Todeköpfle“. So schritt der Abend voran, wurde zur Nacht, auf Anspannung und Euphorie folgten Gespräche und menschliche Enttäuschungen, auf Champagner Rotkäppchen und Wodka Tonic.

Seltsamerweise setzt eine Champagnervergiftung immer erst spät am nächsten Tag ein. Man geht bester Laune zu Bett, schläft, wacht auf, denkt nach, lässt die Nacht Revue passieren, beschließt schließlich aufzustehen – doch bald stellt sich das Gefühl ein, dass es einem doch nicht so recht gut geht. Was dem folgt, ist nicht schön. Im Badischen nennt man die Tätigkeit verniedlichend „Bröckele lachen“.

Dieser Vorgang wiederholt sich dann bis zu zehn Stunden lang viertelstündlich, sehr bald geht es dabei nur noch um grüne Galle und weißen Schaum. Der Vorgang wird krampfhaft, schmerzhaft und im Badischen mit „wurgsen“ beschrieben. Kreislauf-, Herz-Rhythmus-, Seh-und Hörstörungen, stechende Kopfschmerzen kommen hinzu. Nach etwa drei Stunden tut die Speiseröhre ganz erbärmlich weh und in den kurzen Minuten zwischen zwei Anfällen denkt man: „Wie machen das eigentlich die Models und die Bulimisten?“ Aber die erbrechen sich wahrscheinlich nicht viertelstündlich.Wie alles Schlimme hat auch eine Champagnervergiftung ihr Gutes: Gedemütigt, geschwächt, aber auch innerlich gereinigt setzt man danach zur Neuordnung des Lebens an.

CHRISTIANE RÖSINGER