crime scene: Norwegische Wolfsjagd ins Uneigentliche
Im beschaulichen Elverum ist der Teufel los, seit eine junge Frau tot, offenbar von Wölfen zerfleischt, im Wald gefunden wurde. In der allgemeinen Verunsicherung nutzen die örtlichen Wolfshasser die Gunst der Stunde, um eine große Wolfsjagd abzuhalten, die zwar illegal ist, über die aber der Bürgermeister seine schützende Hand hält, ist er doch selbst Gelegenheitswilderer und zudem ein aufrechter Rechter. Als Vizebürgermeister hält er sich einen waschechten, dafür strohdummen Nazi.
Doch es gibt in Elverum auch die anderen: NaturschützerInnen und vor allem den bekanntesten Wolfsforscher Norwegens, der gemeinsam mit seinen GehilfInnen importierte Wölfe in den Wäldern auszusetzen pflegt, was ebenso illegal ist wie die Wolfsjagden der Gegenseite. In diese Gemengelage gerät der gerade wenig lebenstüchtige Anwalt Leo Vangen, der aus Oslo anreisen muss, um einem alten Freund beizustehen: Rino Gulliksen hat den kleinen Sohn der getöteten Frau im Wald gefunden und zur Polizei gebracht. Er selbst ist aber darauf angewiesen, anonym zu bleiben, da es besser für ihn ist, wenn die Welt glaubt, er sei nicht mehr am Leben. Rino Gulliksen und Leo Vangen haben eine gemeinsame Vorgeschichte, die in zwei Vorgängerbänden nachgelesen werden kann und auf die dieser dritte Roman wirklich neugierig macht.
Lars Lenth, der in Norwegen vor allem als Moderator, Angler und Autor von Büchern über das Fliegenfischen bekannt war, bevor er begann, auch Krimis zu schreiben, pflegt eine sehr eigene Art von schwarzem Humor, die in vieler Hinsicht an den amerikanischen Autor Carl Hiassen erinnert. Seine Romanfiguren sind fast alle zum einen sehr eigen und zum Zweiten gezielt überzeichnet. Letzteres bedeutet, dass die karikierende Überzeichnung um so stärker ausfällt, je bedeutender die Rolle ist, die eine Person für die Handlung spielt – und je negativer der Charakter wahrgenommen werden sollte.
Der rechtsextreme Vizebürgermeister ist praktisch vollständig zur Karikatur geronnen; auch wenn er daneben durchaus Züge aufweist, aufgrund derer er einem leidtun könnte. Aber auch der in den Wäldern lebende Rino Gulliksen, der es zu seiner Mission gemacht hat, Gerechtigkeit durch Selbstjustiz herzustellen, erscheint als deutlich larger than life. Die komisch-lapidaren Dialoge sind gespickt mit Querverweisen auf Filme, Fernsehserien und Literatur, was der Uneigentlichkeit das Krönchen aufsetzt. Spannung entwickelt sich nicht primär durch die kriminalistische Seite des Plots (natürlich waren es keine Wölfe, von denen die Frau zerfleischt wurde), sondern aus der entstehenden Spirale der Gewalt, zu der ungezügelte Jagdlust und Selbstjustiz führen.
Lars Lenth hat dem Ganzen die Bemerkung vorangestellt, dass er damit Geschehnisse aufgreife, die sich so ähnlich in den 2010er Jahren tatsächlich in der Region Østerdalen zugetragen hätten. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass die Beteiligten damals in Wirklichkeit nicht annähernd so viel zu lachen hatten wie nunmehr die LeserInnen von Lenths Roman.
Lars Lenth: „Der böse Wolf von Østerdalen“. Aus dem Norwegischen von Frank Zuber. Limes Verlag, München 2021. 320 S., 20 Euro
Katharina Granzin
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen