crime scene : Unter deutschen Dächern: neue Krimis von Christine Lehmann und Astrid Paprotta
Christine Lehmanns unkonventionelle Reporterin Lisa Nerz, die in Männerklamotten herumläuft, Männer und Frauen gleichermaßen liebt und stets einen wurstförmigen kleinen Hund hinter sich herzieht, muss im Krimi „Allmachtsdackel“ auf der Schwäbischen Alb ermitteln – in einer spießigen, abgelegenen Gegend, in die sie passt wie die Faust aufs Auge. Der Vater ihres Lebensgefährten Richard ist gestorben, auf natürliche Weise, wie es scheint. Doch Lisa misstraut dem allzu rasch ausgestellten Totenschein; und das umso mehr, als ein weiterer plötzlicher Todesfall eintritt. Ein junger Mann ist von einer Herde Rinder zu Tode getrampelt worden. Diese Rinderherde gehört Richards Kusine Barbara, in die Lisa sich umstandslos verliebt. Das aber kann nicht gutgehen, gehört doch auch Barbara zur Reihe der Verdächtigen … Rätselhaft ist, warum Lehmanns Verlag ihre Bücher unbedingt als „hardboiled“ bezeichnen will. Dass Lisa Nerz im persönlichen Umgang eine gewisse Ruppigkeit kultiviert, konstituiert noch nicht wirklich ein Genre, sondern dient eher der Überzeichnung ihres androgynen Habitus. Andererseits ist Lehmanns Buch durchaus mehr als ein Damenkrimi mit bisexueller Orientierung, sondern vor allem ein unterhaltsamer, farbiger Regionalkrimi, der vielleicht weniger mit einer unglaublich spannenden Handlung, dafür umso mehr mit bissig gezeichneten Typen und einem gesundem Sprachwitz punkten kann.
Auch von einer der ganz Großen im deutschen Krimi, von Astrid Paprotta, gibt es einen neuen Roman. Diesmal ermittelt nicht die junge Kommissarin Ina Henkel, sondern erstmals ein Ermittlerduo, das sich noch zusammenraufen muss: der höfliche, gutgekleidete Hypochonder Karl Niklas und der junge Glatzkopf Potofski, der unsympathische Zeugen gern mit markigen Sprüchen auf die Palme bringt. In ihrem ersten gemeinsamen Fall stehen sie einem besonders spektakulären Mord gegenüber: Eine Anwältin und Lokalpolitikerin ist in ihrer Wohnung bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Die Tote war als Vertreterin von Law and Order bekannt und hatte sich zu Lebzeiten mit drastischen Vorschlägen zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit viele Feinde gemacht. Während Niklas und Potofski noch in alle Richtungen ermitteln, wird ein wichtiger Zeuge fast vor ihren Augen ermordet, noch bevor sie mit ihm sprechen können. Wenig später müssen die Kommissare miterleben, wie gedungene Krawallmacher in einem heruntergekommenen Viertel der Stadt randalieren, um Angst und Schrecken unter den Bewohnern zu verbreiten.
In diesem Viertel wohnen auch der kleine Friseur Czerny und der armselige Privatschnüffler Blume – zwei Figuren, mit deren Hilfe eine Seite des Falles beleuchtet wird, von der die Ermittler nichts wissen. Blume hatte der Verstorbenen regelmäßig kleine Dienste geleistet und setzt, da er nichts Besseres zu tun hat, nach ihrem Ableben seine Recherchen fort. Der Friseur Czerny wiederum kommt Anna Westheim ziemlich nahe, die mit einem Jugendfreund der ermordeten Ellen Rupp verheiratet und zudem deren Kanzleipartnerin ist.
Paprotta legt ein umfassendes Sozialpanorama einer deutschen Großstadt an und verknüpft in ihren Figuren persönliche Geschichten mit politischen Intrigen. Alles hängt hier mit allem zusammen, so viel ist schnell klar, und das ist im Grunde schon so eine Art Paprotta’sches Markenzeichen. Man könnte sie als die überragende Vertreterin des deutschen Sozialkrimis bezeichnen, wenn das nicht so staubig klänge. So zuverlässig wie diese Autorin real existierende gesellschaftliche Missstände in ihren Krimis spiegelt, so sicher kann man sein, dass sie einem damit nicht auf den Wecker fällt. Man darf Paprotta auch lesen, wenn man nur ihren eleganten, humorvollen Stil schätzt. Oder weil’s einfach spannend ist. KATHARINA GRANZIN
Christine Lehmann: „Allmachtsdackel“. Argument Verlag, Hamburg 2007, 316 Seiten, 9,90 Euro Astrid Paprotta: „Feuertod“. Piper, München 2007, 316 Seiten, 12 Euro