crime scene: Moral und Verbrechen: Gary Dishers „Hinterhalt“
Nennen wir es Schnabeltier
Es ist kein Geheimnis, dass die große Welt der Krimis von Moralisten bevölkert wird. Selbst in den dunkelsten Enden des Noir findet sich so etwas wie der Wille zum Guten wieder. Ich mache an diese Stelle drei Punkte. – ... – Weil das meine erste Kolumne ist, darf ich das. Außerdem dienen diese und alle weiteren drei Punkte der Besinnung auf die Tagespolitik. Seufz. Vielleicht doch lieber einen richtigen Absatz?
Danke. Also das war jetzt ein ganz abgeschmackter Feuilletontrick, einfach so nach Art des Kabaretts einen beliebigen tagespolitischen Bezug herbeileiern und dann die einstudierte Nummer raushauen. „Apropos …“ Vorausgesetzt, das Hochwasser konnte nicht alle Sünden die Elbe hinunterspülen, dürften sich im Folgenden die drei Punkte durch die richtigen Bezüge von selbst ersetzen lassen. – …
Apropos: Gary Disher sei Dank, gibt es wenigstens unter den Verbrechern noch ehrbare Seelen, die sich zudem mit ihrem Berufsethos aufrecht gegen die Übel unserer Zeit stemmen, also gegen Menschen, die ihren Job nicht richtig machen. Nicht weil sie es nicht können, sondern weil sie es nicht wollen. Ich bin ein großer Freund von Sabotage am Arbeitsplatz, nicht dass wir uns missverstehen. Aber wir sprechen hier von Menschen mit einer passiven Verweigerungshaltung, die gewöhnlich auf reiner Egozentrik, Faulheit und korrumpiertem Denken basiert. Was ist das für eine Welt, in der – …
Wenn doch nur alle Menschen so anständig unanständig wären wie die Verbrecher Gary Dishers. Sein Antiheld Wyatt gehört zu den eindrucksvollsten Figuren des zeitgenössischen Crime – als Meisterdieb mit überkommenem Ehrenkodex zugleich modern und old-fashioned, ist er ein Widerspruch in sich, ein lebendiges Fossil, heutig, aber gestrig. Die Ironie will es, dass die Romanfigur Wyatt in allen anderen Ländern der Welt mehr Ansehen genießt als in Australien, Heimat des wohl berühmtesten lebenden Fossils, des Schnabeltiers, weniger korrekt Entenratte oder ganz korrekt Ornithorhynchus anatinus genannt.
Soweit meine Informationen zutreffen, hat Disher die Serie um den Dieb für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt, um sich stattdessen in seinem Roman „Drachenmann“ – an dieser Stelle bereits vom hoch geschätzten Kollegen Brack empfohlen – dem Inspektor Hal Challis zu widmen. Aber noch harrt einiges der Übersetzung. Nach „Gier“ und „Dreck“ veröffentlicht Pulp Master in diesem Jahr mit „Hinterhalt“ den dritten Wyatt-Roman. Bis Ende des Jahres soll Nummer vier unter dem Titel „Verrat“ erscheinen.
Das ist die Sitution: „Wir haben hier eine Leiche, und Sie haben die Tatwaffe. Noch dazu werden Sie in halb Australien von den Bullen gejagt, auf ihren Kopf ist ein Haufen Geld ausgesetzt, also können Sie auch keinem mehr trauen.“
Diesmal steckt Wyatt tief drin, und keine noch so minutiöse Planung, nicht die gesamte Detailbesessenheit eines Ameisenstaates (ich hab’s heute irgendwie mit den Tieren) kann ihn davor retten, immer tiefer hineingezogen zu werden. Stimmt schon: Wyatt-Romane sind grundsätzlich alles andere als sauber; wahlweise streuen „Partner“, Auftraggeber und manchmal auch Polizisten Dreck in sein Uhrwerk. Aber noch nie haben sich dabei alle zusammengetan.
Der 1993 als „Deathdeal“ erschienene Roman trägt seinen sehr frei übersetzten deutschen Titel zu Recht. Hinterhalt und hinterhältig sind die Schlüsselvokabeln zu dieser kleinen Geschichte von Vertrauen, Betrug und – nennen wir es Moral. Ab dem 20. September ist Gary Disher für zehn Tage auf Lesereise in Deutschland. – …
LARS BRINKMANN
Gary Disher: „Hinterhalt“. Aus dem Australischen von Bettina Seifried. Pulp Master, Berlin 2002. 243 S., 11 €
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