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Archiv-Artikel

christoph eschenbach, pianist und dirigent Das Orchester als soziales Gebilde

Von PS

Er ist ein sensibler Zuhörer. Er argumentiert mit Bedacht und ist im Gespräch so gelassen wie am Dirigierpult: Christoph Eschenbach, von 1998 bis 2004 Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters, wird anlässlich des Schleswig-Holstein Musikfests in Norddeutschland gastieren. Am 20. Juli tritt er in Wotersen auf und am 25. in Elmshorn.

An diesen Abenden ist er mal Pianist, mal dirigiert er, und wird so Stationen seiner Karriere nachzeichnen: Eigentlich hätte für den bereits erfolgreichen Pianisten gar kein Grund bestanden, auch noch mit dem Dirigieren anzufangen. Aber er war „lüstern danach, das auszuprobieren“, sagt Eschenbach im Rückblick. An Bruckners Dritter hat er sich zunächst versucht, 1972 in Hamburg. Es funktionierte, weitere Dirigate folgten, und 1978 wurde der gebürtige Breslauer Chefdirigent der Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz. Später leitete er das Tonhalle-Orchester Zürich und das Houston Symphony Orchestra. Inzwischen dirigiert er das Orchestre de Paris und das Philadelphia Orchestra.

„Etwas anderes als Musik ist für mich nie in Frage gekommen“, sagt Eschenbach. Wobei ihn am Dirigieren besonders reize, dass ein Orchester immer auch ein soziales Gebilde sei: kein anonymer Klangkörper, sondern eine konkrete Gruppe Menschen, die auf einander hören müssten. Wenn er neu in ein Orchester komme, sagt Eschenbach, „dirigiere ich immer als erstes die dritten Pulte, die Musiker also, die ganz hinten sitzen. Manchmal dauert es eine Stunde, bis sie bemerken, dass ich sie ständig anschaue. Und dann funkt es plötzlich: Sie spielen die Klassen besser, weil sie merken, sie werden beachtet.“

Dabei fordert er nicht nur: Eschenbach spielt auch selbst mit in den Kammermusik-Ensembles, die er in seinen Orchestern initiiert, um die Musiker für Feinheiten zu sensibilisieren. A propos Musiker: Denen wolle er „vermitteln, dass ich jeden ernst nehme“, sagt Eschenbach, gerade auch den Nachwuchs, den er bewusst fördert. Wenn auch nicht immer unumstritten: Der Pianist Lang Lang etwa, mancherorts wegen vermeintlicher Schaumschlägerei verschrien, zählt zu seinen Favoriten. Das redet ihm keiner aus. PS

CHRISTOPH ESCHENBACH, 68, hieß eigentlich Ringmann, nahm aber den Namen seiner Adoptiveltern an. FOTO: AP