checkliste medizin: Bauchspeicheldrüsendefekte und Übergewicht
Zucker
Die Szene sorgt beim Zuschauer für einen der vielen kleinen Adrenalinstöße, aber auch für spontane Irritationen: Als Jodie Foster in David Finchers Film „Panic Room“ den Panikraum plötzlich nach Essbarem durchwühlt. Fosters Filmtochter Sarah ist zuckerkrank und kann allein deshalb nicht sehr lange im Panikraum ausharren. Nicht so deutlich wird, in welche Krise Sarah aufgrund ihrer Erkrankung geraten könnte: Ist sie unterzuckert, besteht die Gefahr eines so genannten hypoglykämischen Schocks, wie es Jodie Fosters hektische Suche suggeriert (ja, ja, das Mundwasser, kein Zucker drin!)? Oder fällt Sarah in ein diabetisches Koma? Was hieße, sie wäre überzuckert und brauchte dringend Insulin – so wie es später den Anschein glychat, als Forrest Whitacker ihr die rettende (Insulin?)-Spritze setzt.
Im richtigen medizinischen Leben heißt die Zuckerkrankheit auch Diabetes mellitus, was man als „honigsüßen Durchfluss“ übersetzt. Der Diabetes mellitus ist definiert als erblich bedingte chronische Stoffwechselkrankheit, basierend auf einem Insulinmangel. Insulin ist ein körpereigenes Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse produziert wird, und zwar von den B-Zellen der Langerhans-Inseln (benannt nach dem Berliner Pathologen Paul Langerhans, der sie im 19. Jahrhundert entdeckte). Die Bauchspeicheldrüse, auch Pankreas genannt, sorgt zum einen, wie der Name sagt, für die Produktion und Abgabe des Bauchspeichels, der für die weitere Zersetzung der Nahrungsbestandteile im Darm zuständig ist. Zum anderen produziert sie in besagten Langerhans-Inseln, die insgesamt nur zwei Prozent des Bauchspeicheldrüsengewebes ausmachen, mehrere für den Stoffwechsel notwendige Hormone: Insulin, dessen Gegenspieler Glukagon, und Somatostatin, das die Sekretion von Magensaft und Bauchspeichel hemmt. Insulin beeinflusst maßgeblich den Kohlenhydratstoffwechsel. Es fördert den Transport von Glukose und sorgt dafür, dass Glukose in Fett-, Muskel- und Leberzellen verarbeitet wird. Bei Diabetikern ist aufgrund des fehlenden oder nur unzureichend wirkungsvollen Insulins das Eindringen von Glukose in die Zellen erschwert, weshalb im Blut der Zuckerspiegel ansteigt.
Man unterscheidet zwei Formen der Zuckererkrankung: Den Diabetes mellitus Typ 1, der seltener ist und als „insulinabhängiger“ Diabetes bezeichnet wird. Und den häufigen Diabetes mellitus Typ 2, der als Wohlstandskrankheit gilt. Er wird verursacht durch Übergewicht, gilt deswegen als insulinunabhängig und tritt im höheren Lebensalter auf. Der Diabetes mellitus Typ 1 dagegen manifestiert sich überwiegend schon bis zum 30. Lebensjahr. Er beruht auf einer Zerstörung der B-Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Die Gründe dafür sind vielfältig. Man vermutet, dass Virusinfektionen wie Mumps, Röteln oder Grippe eine Rolle spielen und zu einer Vorschädigung der B-Zellen führen. Sie rufen eine Autoimmunreaktion hervor, bei welcher der Körper die Immunabwehr gegen eigene Zellen und Stoffe richtet. So finden sich bei Diabetes-Typ-1-Erkrankten häufig Antikörper gegen die B-Zellen und gegen Insulin. Dazu kommt eine familiäre Häufigkeit bei Typ-1-Diabetikern (insbesondere aber beim Typ-II-Diabetes!) Man geht davon aus, das bei vielen Erkrankten alle Faktoren eine Rolle spielen. Wenn der Diabetes sich klinisch zeigt, gilt er schon als Endpunkt eines länger ablaufenden Krankheitsprozesses.
Bei den Typ-II-Diabetikern gibt es zwei wesentliche Ursachen für die Erkrankung: Die Abgabe des Insulins aus den Zellen der Bauchspeicheldrüse funktioniert nur unzureichend. Oder das Insulin ist nicht effektiv genug – es kann in den Zielzellen von Leber oder Muskeln nicht an die dort sitzenden Insulinrezeptoren andocken und damit die Zellen sozusagen aufschließen.
Während bei Typ-1-Diabetikern eine Insulintherapie erforderlich ist, lässt sich Typ 2 oft mit Diätmaßnahmen einstellen. Falls das nicht funktioniert, werden orale Antidiabetika eingesetzt. Erst beim Versagen dieser Therapien ist eine Insulineinstellung indiziert. Das Problem des Diabetes auf lange Sicht, insbesondere bei den früh erkrankten Typ-1-Diabetikern, aber auch bei denen vom Typ II: die Gefäßschäden. Aus ihnen resultieren die koronare Herzkrankheit oder arterielle Verschlusskrankheiten. Oder sie haben Erkrankungen von Niere, Augen, Nerven oder den Füßen zur Folge.
Gefährliche Notsituationen wiederum sind die beiden eingangs erwähnten: das Coma diabeticum, auf das David Fincher wohl in seinem Film angespielt hat, und die hypoglykämische Krise. Das diabetische Koma beruht auf mangelnder Insulinzufuhr von außen oder weil aufgrund von Infekten, Operationen oder einer Schwangerschaft ein erhöhter Insulin-Bedarf besteht – ein Prozess, der durchaus Tage dauern kann. Im Vergleich dazu ereignet sich die hypoglykämische Krise innerhalb von Minuten. Sie beruht meist auf einer Überdosierung von Insulin, starker körperlicher Belastung, Alkoholmissbrauch oder, selten, auf ungenügender Nahrungsaufnahme. Bei noch vorhandenem Bewusstsein lässt sich eine Hypoglykämie schon mit Fruchtsaft beheben. Ansonsten braucht es eine Glukoselösung, die intravenös verabreicht wird.
GERRIT BARTELS
(wird fortgesetzt)
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