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Archiv-Artikel

charlotte noblet über pariser auf berlinbesuch Ohne Hupen um die Siegessäule

Der erste Eindruck ist ernüchternd. Monsieur vermisst am Morgen Zeitungskiosk und Bistro. Hier laufen schon alle mit Wurst und Bier herum. Ekelhaft. Madame denkt derweil mit Wehmut an die Grands Magasins am Boulevard Haussmann. Am Hackeschen Markt findet sie einfach keine Sommerschuhe. Was für eine miserable Auswahl! Und die Kinder? Sind vom Funkturm, der ja angeblich der Tour Eiffel ähnelt, schwer enttäuscht: 150 Meter? Lächerlich.

Ein Päuschen muss sein. Mal sehn, was der Routard über die Stadt weiß. Im Straßencafé dann die erste positive Überraschung: das Frühstücksbuffet. Viel billiger als in Paris. Und draußen sitzen, so lange man will! Die Stimmung hellt sich auf, bekommt aber in der U-Bahn den nächsten Dämpfer. Zu teuer, fährt zu selten. Die Tram? Niedlich, aber das unübersichtliche Liniennetz! Man leiht sich ein Auto. Prima Idee: völlig staufrei zu allen Sehenswürdigkeiten. Monsieur staunt wieder: Das Regierungsviertel ist nicht abgeriegelt, und jeder darf in den Reichstag! Die Assemblée Nationale hat er noch nie von innen gesehen. Die Kinder interessiert anderes: Cool, diese Punks! Echt Seventies!

Hat jemand bemerkt, wie lässig Madame die Siegessäule umkreist hat? Am Arc de Triomphe hätte das ein Hupkonzert gegeben. Beschwingt vergisst sie alle Modevorurteile und probiert in Prenzlauer Berg ein Secondhandkleid nach dem anderen an. Monsieur ist derweil besorgt: Ist es normal, dass hier alle Väter Kinderwagen schieben? Sieht so Gleichberechtigung aus?

Jetzt sind noch mal die Kleinen dran. Wie wär’s mit einer Spreetour? Die Ausflugsdampfer hinken den Bateaux-Mouches noch hinterher: Der Führer spricht keine fünf Sprachen und Französisch schon gar nicht. Aber bei der Gelegenheit hat die Familie mehrere Strandbars entdeckt. Verglichen damit ist Paris-Plage ein Witz! Hier, im Liegestuhl, weiß man endlich: Berlin beherrscht das savoir-vivre.

Charlotte Noblet macht zurzeit ein taz-Praktikum. Berliner „Baguettes“ wollen ihr gar nicht schmecken