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cannes, cannesGeschlechterunterschiede als Schwertkampf

MIT MICHELLE YEOH IN DIE MODERNE

Da Filmfestivals vor allem eine Erfindung von Hoteliers und Restaurantbesitzern sind, ist der parallel zum Kino stattfindende Filmmarkt der eigentliche Wirtschaftsfaktor von Cannes. Nur wegen des Filmmarktes sind die Luxushotels vollgestopft mit Lizenzhändlern, Verleihern, Hollywoodbossen, B-Movie-, Video- und Pornoproduzenten.

Das Festival sorgt für Glamour oder was man dafür hält, und der Filmmarkt bringt den Schmuddel. Barbusige russische Models fläzen sich im Hafen auf den zu Höchstraten vermieteten Yachten, auf den Fassaden der Luxushotels preisen schrille Transparente all den Fantasymüll, der demnächst auf RTL läuft, und überall sieht man Aufkleber von „Baise-moi“ („Bums mich“). Vor der Vorführung dieser Verfilmung eines gleichnamigen französischen Pornobestsellers gab es im Eingangsbereich des Kinos Tumulte: „Pas de presse“. Einem Libération-Reporter gelang trotzdem der Zugang übers Klo, was sogar zu einer halbwegs ernsthaften Filmkritik führte („digitale Bilder von abstoßender Schmutzigkeit“). Natürlich hat der Markt auch jede Menge verführerischen Trash zu bieten. Und wer würde nach der zweistündigen Wettbewerbsprojektion eines koreanischen Opernfilms nicht doch ganz gerne mal bei „Godzilla and the last Gladiators“, „Vampires of the Hell“ oder „Dragonfight“ vorbeischauen?

Im offiziellen Festivalprogramm hat nur ein einziger Filmtitel solche viel versprechenden Signifikantenreize zu bieten: „Crouching Tiger, Hidden Dragon“, ein Schwertkämpferepos von Ang Lee, löst seine Entertainmentversprechung schon mit dem Casting ein. Mit Stuntfrau und Ex-Bond-Girl Michelle Yeoh (siehe Foto) und der inzwischen in Hollywood arbeitenden John-Woo-Ikone Chow Yun Fat hat Lee gleich das beste der Hongkonger Actionbranche versammelt. Interessanterweise treibt in Lees Film eine präfeministische Schwertkämpferhexe ihr Unwesen, die auf brachiale Weise die Frauenbefreiung vorantreibt. Ihr ideologischer Zauberlehrling ist eine junge zarte Aristokratin, eine Art Supergirl der Ching-Dynastie, in allen Kampfeskünsten und Waffengattungen trainiert. Überhaupt ist „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ eine Abrechnung unter Frauen. Michelle Yeoh und ihre Widersacherinnen liefern sich unglaublich choreografierte Verfolgungsballette mit raketenhaften Sprüngen, ausgedehnten Schwebesequenzen und einem Säbelduell, das den bisher einzigen wirklichen Szenenapplaus von Cannes bekam. Chow Yun Fat ist diesmal eher der meditative Typ und als traditioneller Hongkong-Heroe von so viel martialer Frauenpower auch leicht verunsichert. Lees Schwertkämpferfilm ist so liebevoll, überbordend und sinnenfroh inszeniert, dass es sich eigentlich nur um die Verwirklichung eines Kindheitstraums handeln kann.

Im merkwürdigen Gegensatz zu Lees beschwingter Kampfeslust steht die sakrale Darstellung des Kriegerdaseins in Nagisa Oshimas Film „Tabu“. In einem Samurai-Orden sorgt die Ankunft eines Jünglings von mädchenhafter Schönheit für Verwirrung und Eifersucht. „Beat“ Takeshi Kitano spielt einen Vorgesetzten, dem die erotische Destabilisierung der Männergilde langsam über den Kopf wächst.

Stoische Gesichter, kurze, streng ritualisierte Kämpfe, starre Kameraeinstellung. Nur ein einziges Mal wird die ansonsten sublimierte Inszenierung des schwulen Begehrens mit einer recht formlosen Sexszene durchbrochen. Ansonsten will das bedeutungsschwere Kreisen ums „Tabu“ nicht recht zur relativen Unbefangenheit passen, mit der die Samurai ihre Liebesverstrickungen besprechen. Ang Lees und Oshimas Film spielen beide im 19. Jahrhundert. Doch die todernsten Trainingsduelle wirken bei Oshima etwas altmodisch männerbündlerisch. Michelle Yeoh, die beim Kämpfen ganz beiläufig zwanzig Meter Trottoir zertrümmert, ist da schon eher in der Moderne angelangt.

KATJA NICODEMUS

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