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Archiv-Artikel

bundestag in orange Schröders Ukraine

Plötzlich war gestern im Deutschen Bundestag von Massenprotest, ja von Revolution die Rede, und niemand bemühte die Saalordner. Im Gegenteil, bei einer Debatte zur Lage in der Ukraine konnte man seitens der Rednerinnen von CDU und Bündnisgrünen, die gerade aus Kiew heimgekehrt waren, Demonstrationsberichte hören, die entsprechenden Berichten vom Weltsozialforum an Begeisterung kaum nachstanden.

KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

Wer geglaubt hatte, der Bundeskanzler müsse sich wegen seines Zeugnisses für Putin („lupenreiner Demokrat“) rechtfertigen, sah sich getäuscht. Es gab sogar artigen Dank für seine zwei Telefonate mit dem Kreml. Bei so viel Einmütigkeit blieb die Frage, worin die Vermittlertätigkeit Kwaśniewskis, Solanas und auch Schröders bestehen soll, in der orangefarbenen Luft hängen.

Der Bundeskanzler betonte, dass sich die Vermittlungsaktionen der Europäischen Union gegen niemanden richten würden, sie hätten nur das Ziel, die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie zu unterstützen, zu helfen, die territoriale Integrität des Landes zu erhalten, für Stabilität einzutreten. Solche Ziele lägen auch im „richtig verstandenen Interesse“ Russlands. Bleibt nur die Frage, wie Putin seine eigenen Interessen „richtig versteht“.

Dieses Problem ging Schröder auf zwei Ebenen an. Er betonte, dass die Ukraine und Russland ökonomisch und kulturell vielfältig verflochten seien und niemand daran denken könne, diese Verbindungen zu lösen. Zum Zweiten winkte er mit dem Ausbau der „strategischen Partnerschaft“ zwischen Russland, der EU und der Nato, aber auch mit Initiativen zivilgesellschaftlicher Art wie dem Jugendaustausch. Seine Argumentation lief darauf hinaus, die Auseinandersetzung zwischen Juschtschenko und Janukowitsch vom Terrain eines globalen politischen Konflikts herunterzuholen und die Europäische Union als künftigen verlässlichen Partner Russlands anzuempfehlen.

Die EU-Vermittler können und wollen, was Neuwahlen betrifft, überhaupt keinen Verhandlungsspielraum geltend machen. Die Stichwahl muss wiederholt und Manipulationen müssen ausgeschlossen werden, und das in kurzer Frist. Für die Nomenklatura darf nur der gesicherte, ausgehandelte Rückzug bleiben.

Dass Putin diese Lösung als in seinem Interesse liegend sieht, ist nicht gänzlich ausgeschlossen. Er hätte allerdings einzukalkulieren, dass seine gelenkte Demokratie vom Süden her infiziert wird. Ob Schröder auch hierfür guten Rat wusste?