bücher für randgruppen: Zufälliges Kochen mit Unprominenten
Pizza de Monaco
„Wat ’n Rezept willste? So wat jibt es bei uns nicht, wir ham in Berlin keene hochstehende Esskultur. Wir essen schon zum Frühstück Jeschlitzte uff Pappe – det is Currywurscht ...“ (Stefan Schlieffen, 47, Konfliktforscher, am 26. Juli im schweizerischen Erlenbach auf der Straße, zitiert im besprochenen Band.)
Es sieht wirklich ultralecker aus in seiner schwarzen Lederhülle mit den rot geprägten Lettern, rund geschnittenen Ecken, den linierten Seiten und schönen Porträtzeichnungen: „Choucroute au curry par hasard“, gestaltet von Cornel Windlin und Christoph Doswald. Ein preisgekröntes Kochbuch der anderen Art, betitelt nach einem Rezept der französischen Wahlschweizerin Christiane Lassagne.
Gesehen habe ich es zuerst in der Kreuzberger Kneipe „Bierhimmel“. Bei einer zufälligen Bekanntschaft mit Philippe Messner. Der Neffe des weltberühmten Gipfelstürmers trug das schöne Werk bei sich. Wir sprachen über die höflichen Paparazzi, die Website www.hoefliche-paparazzi.de, die es Unbekannten möglich macht, ihre zufälligen, kleinen Begegnungen mit Berühmtheiten der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Wir überlegten, ob es auch legitim sei, wenn unbekannte Verwandte einer Berühmtheit dort schreiben dürften, hier also Philipp über Reinhold.
Das passt ganz gut hierher, weil dieses Kochbuch seine Rezepte auch aus zufälligen Begegnungen bezogen hat, allerdings mit Unbekannten, Unprominenten. Die Namensgeberin des Buches Christiane Lassagne ist nämlich keine berühmte Köchin, geschweige denn Nachkomme der Erfinderin der Nudelspezialität Lasagne, sondern eine völlig unprominente Geschäftsfrau.
Sie wurde auf einer Schweizer Reise der Künstlerin Maryisa Morkowska von dieser angesprochen – ebenso wie fünfzig andere, wildfremde, unbekannte Menschen – und nach ihrem Lieblingsrezept gebeten. So mischen sich klassische Schweizer Kochkunst mit raffinierten exotischen Gerichten, Extravagantes trifft Schlicht-Schönes. Im Rahmen eines Kunstprojektes des „Migros Kulturpozents“ entstand ein zauberhaftes Kochbuch, illustriert mit lustigen Kugelschreiberporträts von Claudia und Julia Müller, die damit die Rezeptgeber vorstellen. Die Lebensmittelkette Migros, die in Zürich ein eigenes Museum für Gegenwartskunst unterhält, scheint im Kulturbereich überhaupt einen interessanten Geschmack zu haben. So befinde ich mich schon seit Jahren im Besitz einer knalllbunten Einkaufstüte aus Papier, die der Künstler Dieter Roth einst für Migros gestaltete. Edeka, Kaiser’s, Spar, Aldi und all die anderen deutschen Lebensmittelketten haben meines Wissens jedenfalls noch nie eine annähernd schöne Einkaufstüte oder ein hübsches, unkonventionelles Buch finanziert.
Die zufällig entstandene Rezeptsammlung zeigt in einer entspannten Soziologie der Kochenden, wie Einflüsse aus anderen Kulturen und Ländern die Schweizer Geschmackspapillen anregen. Neben aus London stammenden, japanisch inspirierten Thunfischteigwaren finden wir traditionelle Pierogi einer seit 30 Jahren in der Schweiz lebenden Polin und lernen Eigenkreationen wie die „Pizza de Monaco“ von Cevdat Ergül kennen, den die Interviewerin am Freitag, dem 28. Juli, in Thalwil auf der Straße getroffen hat, um genau 15.15 Uhr. Vielleicht wird ja das Gericht des Türken aserbeidschanischer Abstammung, der einen Pizzakurier-Service betreibt, in einigen Jahrzehnten als typisch Schweizer Speise gelten. So wie auch die Bulette als typisch berlinerisch gilt: Ihre französische Herkunft ist längst in der deutschen Jägersoße aufgegangen.
Hier ist alles noch ganz nah, noch im Stadium des Experiments, der ersten Versuche, ganz individuell und persönlich. Um Verständnisprobleme mit dem Schweizerdeutschen zu vermeiden, sind bestimmte Wörter mit einem Sternchen markiert. Auf einem beiliegenden Lesezeichen kann dann Zmorge als Frühstück entschlüsselt werden und Herdöpfelstock als Kartoffelbrei.
Schließlich gibt dann selbst der eingangs zitierte Konfliktforscher Schlieffen aus Berlin ein frugales Mahl zum Besten: Bicicletta, 2 Teile trockener Wein, 1 Teil Campari und Eiswürfel – alles gut mischen. Draußen trinken an warmen Tagen. Prost!
WOLFGANG MÜLLER
Christoph Doswald, Cornel Windlin, Migros Kulturprozent (Hg.): „Choucroute au curry par hasard. In fünfzig Rezepten durch die Schweiz“. Mit Zeichnungen von Claudia und Julia Müller. Christoph Merian Verlag, Basel 2002, 240 Seiten, 26,60 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen